Kaum ist man im Urlaub, bricht die Revolution los

Vanyx stellt auf der CMT Stuttgart die "Revolution unter den Camper Vans" vor. Eine Stilkritik (Glosse)

Stell dir vor, es ist Revolution und keiner kann sie bezahlen.

Da komme ich gerade nichtsahnend aus dem bolivianischen Hochland zurück in die Region mit Mobilfunk-Empfang – und als Technik-Redakteur muss ich erstmal meine Neugierde befriedigen, was denn auf der diesjährigen CMT in Stuttgart für neue Fahrzeuge präsentiert wurden. Da ist der Tegravel von Terracamper, der spannend aussieht, gut eingepreist scheint und von Menschen gebaut wird, die wissen worauf es beim Reisen ankommt. Ich freue mich schon auf den Test!

Verschluckt habe ich mich, als ich anschließend „die Revolution unter den Camper Vans“ entdeckte. Der Revoluzzer heißt Vanyx und soll, so heißt es, deutlich mehr als eine DREIVIERTELMILLION Euro kosten. Ich muss mich an dieser Stelle auf Hörensagen verlassen, auf Informationen Dritter, denn – wie erwähnt – während der Messe habe ich lieber Sterne  am bolivianischen Altiplano-Himmel gezählt (bin nicht fertig geworden, muss noch mal hin). Also. irgendwas um 800.000 Euro ruft das neue Unternehmen „Smart Adventure“ für seinen VAN auf MAN-TGE-Basis auf.

Ich habe mich dabei ertappt, zu schauen, ob das ganze ein Witz sein soll. Eine Persiflage. Ein Spiegel. Satire. Dank KI-Tools in der Bildbearbeitung ist so ein Auto schnell entworfen, die Website ist genauso schnell  erstellt, und irgendwas mit Van im Namen findet sich nach ein paar Bier ja auch. Das Lachen ob dieser fantastischen Karikatur blieb mir aber im Hals stecken, als ich Bilder vom echten Messestand sah, vom echten Fahrzeug, ganz ohne Fake.

Das kann doch alles nicht wahr sein?

Die Revolution auf Rädern, für die es im identischen Größensegment anderswo nach aktuellem Stand vier bis sechs Allrad-Fahrzeuge zum gleichen Preis gibt, ist ausgestattet wie ein Großer. Also. Ein ganz großer. Laut Website hat der Wagen bei 3,0 Tonnen Leergewicht und 3,5 Tonnen Gesamtgewicht nicht mehr als:

Vier Schlaf- und Sitzplätze, ein Grundriss mit L-Küche und Heckbad (jaja, ganz ähnlich wie dieser hier) 800 Watt Solar, 1200 Ah Batterie, ein Vollluft-Fahrwerk mit 15 Zentimeter Höherlegung, „bis zu“ 700 Liter Frischwasser, eine 6kW starke Dieselheizung (Fußbodenheizung), bietet eine „hightech-Isolierung“ (Armaflex und Vakuum-Dämmmaterial von Va-Q-Tec), eine Trenntoilette, eine elektrisch ausfahrbare Markise, LED-Beleuchtung rundum, 18-Zoll-Schmiedefelgen aus Aluminium, 18 Lautsprecher, Standklimaanlage, und und und. und und. Und. Und das alles auch noch ausgelegt auf “ maximale Geländetauglichkeit“, so heißt es auf der Website.

Wow. Also wirklich. Wow!

Ich ziehe meinen Hut vor der Leistung, all dieses Zeug sowohl räumlich, als auch in Bezug auf die Gewichtsbilanz in einen Sechs-Meter-Van hineingestopft bekommen zu haben. Da darf die Geldbörse schon einmal lockerer sitzen, als anderswo, denn diese Leistung muss belohnt werden. Über den Daumen gepeilt, wiegt der nackte Basiskastenwagen ab Werk um und bei 2,4, vielleicht  2,5 Tonnen, da muss man als Aufbauhersteller schon aufmerksam auswählen, was eingebaut werden kann, damit bis zum Gesamtgewicht noch genug Reserve ist. Und dementsprechend gut sind die Hersteller oft beim Tricksen mit dem Leergewicht (für das es auch klare Normen gibt, aber das ist eine andere Geschichte, Stichwort „Befüllzustand im Fahrbetrieb“.)  Bei 6 Meter Länge und vier Sitzplätzen, so viel ist unumstößlich, beträgt die Mindestnutzlast 100 Kilogramm, hinzu kommen 3 x 75 Kilogramm pro Mitfahrer. 325 Kilogramm sind das in Summe, kommt also mit den drei Tonnen Leergewicht hin, es bleibt sogar noch etwas mehr Luft als nötig. Für einen normal ausgestatteten Zwei-Personen-Camper muss dafür auch noch keine große Zauberei im Spiel sein, mit ein bisschen klugem Leichtbau ist das machbar.

Nun ist es allerdings so, dass zur Ermittlung des Norm-Fahrzeug-Leergewichtes (unter anderem) auch der Frischwassertank gefüllt sein muss. Wir haben also, grob geschätzt, ein 2,5 Tonnen schweres Basisfahrzeug, laut Prospekt drei Tonnen Leergewicht und „bis zu 700 Liter“ Frischwasser. Ich war nie gut in Mathematik, aber ich vermute, hier geht etwas nicht auf. Selbst wenn (ich weiß nicht, wie die Tankvolumina aufgeteilt sind) 350 liter Frisch- und 350 Liter Grauwasser gemeint sind, weil sich Grauwasser per Filter (der natürlich an Bord ist) durchaus auch wieder trinkbar aufbereiten ließe, wird es mit 150 Kilogramm für den gesamten Ausbau ziemlich eng. (150 kg sind schon aufgebraucht für (vereinfacht) diese Teile der Serienausstattung: Markise: 30kg, Truma Combi 6D: 15 kg, 700 Ah Akku: 60 kg, 800 watt solar: 20 kg, 3,5kw-Inverter: 15 kg, Polster im Bett: 10k). Im besten Fall ist die Angabe des Wasserspeichervolumens (und vielleicht auch die der Batterie) also ein Fehler (vielleicht bei beidem eine Null zuviel?), dann kommen die Spezifikationen des Wagens wieder in einen nachvollziehbaren Bereich.

Kohle ist (k)eine Lösung

Um die Kilos zu sparen, die schon in der ersten Überschlagsrechnung zu viel zu sein scheinen, geht Smart Adventure einen konsequenten Weg: Kohlefaser. Also, sie gehen diesen Weg nicht überall, wo es möglich wäre (die Möbel bestehen weitgehend aus Sperrholz), aber immerhin das Hochdach (das vier Schlafplätze bieten soll) und andere Elemente werden aus CFK-Sandwich laminiert. Sogar die Trenntoilette besteht aus der schwarzen Faser, überhaupt ist am Vanyx (Nyx, griechisch, Göttin der Nacht) ziemlich viel schwarz. Soll so. Nicht, weil es den Wagen besonders schnell aufheizt, wenn morgens die Sonne drauf scheint, sondern, ach – lesen Sie doch selbst in der Marketingbeschreibung nach. Jedenfalls, das Hochdach. Es bietet eine innovative Lösung mit zwei Liegeplätzen vorn und zwei hinten, erreichbar über einen mittigen Aufstieg. Warum ist da nicht vorher schon jemand drauf gekommen? Auch die Grundrisslösung ist endlich mal etwas anderes als der ständige Einheitsbrei der Großserie. Gut so.

Zwei Elefanten im Raum. Für jedes Doppelbett einer

Dass völlig absurde Kaufpreise seit geraumer Zeit im Van-Segment die Kunden eher anlocken als abschrecken, ist ein offenes Geheimnis – und wird innerhalb der Branche mit Argwohn betrachtet. Statt das de facto-Handwerk, soll die Summe auf dem Preisschild Qualität suggerieren. Im Sommer 2022 waren 200.000 € noch eine Schallmauer, die neu gegründete Betriebe mit aller Macht versuchten zu durchbrechen, im Sommer 2023 waren auf dem Caravan Salon schon mehrere Vans mit Preisschildern weit jenseits der 230.000 Euro zu finden. Es gibt hierfür also offensichtlich einen Markt, das muss man so hinnehmen. Wenn Betriebe wie SOD in sozialen Medien 140.000 Follower hinter sich vereinen, die jede Präsentation eines noch reiseuntauglicheren, aber noch exklusiver ausgestatteten Fahrzeuges wie ein Fest feiern, ist es nachvollziehbar, dass weitere Unternehmen ebenfalls versuchen, diese Goldgrube mit auszuheben. Ob das endlos funktioniert? Ich habe da meine Zweifel und sehe zwei Elefanten im Raum. Und beide haben mit Funktionalität zu tun. Aber auch das ist, wie alles zuvor geschriebene, nur eine persönliche Meinung:

A) Warum 800.000 Euro und mehr für einen Kompromiss ausgeben? Ein Vier-Personen-Mobil in der Hülle eines schlecht zu dämmenden, zu schmalen und beim Aufbau limitierenden Blech-Transporters ist in höchstem Maße dysfunktional. Wenn so viel Geld zur Verfügung steht, lässt sich in einem vergleichbaren Korsett, also grob 6x3x2 Meter Fahrzeugmaß, mit einem paßgenauen Kabinenaufbau ein erheblich sinnvolleres Konzept schaffen. Und zwar bei diesem Budget mit allem erdenklichen Komfort und ebenfalls in der 3,5-Tonnen-Klasse. Die Zuladung wird aber auch dort immer im Grenzbereich sein, niemals wird der Wagen so ausgerüstet werden können, dass er die erwünschte wochenlange Autarkie einer Familie bieten kann, die „bis zu 700 Liter Wasser“ erwarten lassen würden. Schon 2015 stellten wir ein extrem funktionales und kompaktes Familien-Reisemobil vor, es dürfte bei heutigen Preisen etwa 500.000 Euro kosten. Ein Schnäppchen.

B) Was soll das ganze? Dieser ganze Ausrüstungswahnsinn ist fernab jeglicher echter Bedürfnisse auf Reisen. Hierzu ein kleiner Realitätscheck.
Diese Zeilen entstehen auf dem Campingplatz der Stadt Salta, Argentinien. Es ist ein populärer Platz, um sich nach Touren über die Ruta 40 (von Süden kommend) oder von Norden aus der Lagunenregion Boliviens kommend, den Staub abzuwaschen, das Fahrzeug durchzuchecken und sich mit anderen Reisenden auszutauschen. Beide Routen stellen an Fahrzeuge harte Anforderungen und liegen sehr weit abgelegen: wer „die Lagunenroute“ vollständig befahren will, muss mindestens eine Woche vollständig autark sein und braucht Kraftstoff für 1000 Kilometer und mehr. Und trotzdem stehen auf dem Camping platz: 3 VWT2 aus Brasilien, ein Fiat Scudo aus Chile, ein Mercedes 710 aus Argentinien (keiner der Fahrzeuge hat Allrad-Antrieb), sowie der Steyr 12M18 des explorer. Selbst wenn wir alle unsere Wasser-, Wein- und Biervorräte zusammenlegen würden, hätten wir nicht so viel Wasservorrat wie der „Vanyx“. Genauso sähe es bei der Solaranlage aus, bei der Batteriebank sowieso – und keiner wäre so verrückt und hätte seinen Wagen schwarz angepinselt. Schon der Steyr wird mit seiner Größe, seinem Komfort und seinen Tankkapazitäten von Außenstehenden als luxuriös und extrem wahrgenommen – und in der Tat reichten seine Vorräte spielend aus, um sich in dieser entlegenen Region spielend zu bewegen. Die Batterie (200Ah LiFePo der ersten Consumer-Generation von 2015) immer voll, auch der Wassertank (ca. 130 Liter) lief bislang noch nie trocken, der Gastank ist seit 2018 nicht mehr an der Zapfsäule gewesen und hat noch immer genug Inhalt für Herd und Heizung. Da müssen sich die Hersteller, die mit Produkten wie dem Vanyx „Revolutionen“ versprechen, die Frage gefallen lassen, warum es so bizarr ausgestattete Mobile braucht.

 

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Ist es nicht eigentlich völlig egal?

Nun könnte man, möglicherweise zu Recht, anmerken, dass es immer verrückte Hersteller, Mobile und Ideen gibt, sie Teil der Vielfalt dieser Szene sind. Das ist richtig. Diesen Stand hatten bis vor einigen Jahren vor allem die großen Lkw. Die „Actionmobile“, oder die „Unicats“, oder auch mal ein Bran Ferren mit seinem Kiravan.  Die hat man bestaunt ob ihrer Größe, ihres Komforts, ihres Luxus. Oft mit einem kleinen Hintergedanken, wie schön es vielleicht wäre, nach einem Tag in der Wüste sich in einer dieser großen Duschen ab- oder mit der großen BMW GS auf dem Heckträger ein wenig herumzubrausen. Sie haben aber immer suggeriert: hier rollen Luxusdomizile, die Top of the pops, die Creme de la Creme. Es war eine klare Message. Fahrzeuge wie der Vanyx und seine Konsorten transportieren eine andere Wahrheit. Sie sagen aus, dass selbst in den für Normalsterbliche finanzierbaren Fahrzeugklassen Reisen nur mit einem Overkill an Ausstattung funktioniert. Dass es unmöglich zu sein scheint, auf Reisen eine Gasflasche zu füllen, geschweige denn einen Wassertank. Dass die offene Flamme eines Gasherdes gefährlich ist, das schlafen in einem Aufbau ohne Klimaanlage die Hölle sein muss. Dass nicht der Blick in den echten Sternenhimmel genügt, sondern ein künstlicher im Fahrzeugdach unbedingt sein muss. Und das ist schlichtweg falsch, dieser Gedanke bedarf einer Korrektur. Wenn gerade Einsteiger auf Messen sehen, dass sich die Welt nur mit 800.000 Euro auf dem Konto entdecken lässt, wird das ersparte lieber woanders investiert – und das wäre schade. Deshalb ist es wichtig, auch über Fahrzeuge wie den Vanyx zu sprechen. Und darauf hinzuweisen, dass es bei Firmen wie Terracamper ein reisetauglicheres Fahrzeug auf derselben Basis für ein Achtel des Preises gibt. Das nenne ich einmal eine Revolution.

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