Begpacking mit Promibonus – Joey Kelly unterwegs auf der Panamericana

Joey Kelly bettelte sich 2019 nach Peking und versucht dasselbe derzeit auch auf dem Weg nach Feuerland. Warum müssen wir bei ihm toll finden, was wir bei Rucksackreisenden verurteilen?

Die Kluft könnte kaum größer sein. Hier der vermögende Sproß einer legendären Musikerfamilie, der für Sendungen im Privatfernsehen und beim öffentlichen Rundfunk gebucht wird, seine Shirts und Jacken enger mit Firmenlogos bedruckt als jede innerstädtische Litfaßsäule. Auf der anderen Seite die Bevölkerung zahlloser Schwellenländer, die einen mal mehr, mal weniger harten Alltag bestreitet, zumindest aber nicht mit Geldscheinen um sich wirft.

Warum kann man auf die Idee kommen, es sei eine Herausforderung, medienkompatibel Challenge genannt, auf die Hilfsbereitschaft dieser Menschen zu setzen, um sich selbst zu profilieren und davon auch noch wirtschaftlich zu profitieren (schließlich ist der Dreh einer Sendung doch der eigentliche Zweck dieser Touren)? Und wie kann es sein, dass wir, die Zuschauer oder Leser, nicht sofort erkennen, einem großen Schwindel aufzusitzen, einem geskripteten Buch des Irrsinns? Es ist ein Rätsel.

Joey Kelly, Mitglied der Kelly Family und mittlerweile 50 Jahre alt, landete 2019 mit seiner „Challenge“, im alten VW T1 und nach eigenen Angaben ohne Geld von Berlin nach Peking zu reisen, einen Hit. Es gab Sendungen bei Stern TV, dazu ein Buch und viele Vorträge in zahllosen Groß- und Kleinstädten der Republik. Es dürfte das erste Mal in der jüngsten Vergangenheit sein, dass Menschen dafür bezahlt haben, jemand anderem beim professionellen Betteln zuzusehen. Und zuzuhören, wie er davon erzählt. 

Dabei ist diese Idee nicht einmal innovativ. Kurzeitig flammte vor einigen Jahren ein Trend unter Rucksackreisenden auf, sich durch Bettelei und Tauschhandel durch die Welt zu organisieren. Begpacking hieß diese zweifelhafte Aktion bessergestellter junger Menschen aus der westlichen Welt, sich auf Kosten Dritter einen Urlaub zu genehmigen. Wenn die Coronapandemie einen Nutzen hatte, dann den, dass diese Praxis schnell wieder erstickt wurde. Nur, damit wir nun einem B-Promi beim professionellen, kamerabegleiteten Betteltheater so zujubeln, dass er sich bemüßigt fühlt, das Ganze noch einmal zu wiederholen.

Bizarr ist diese Show gleich mehrfach 

Kelly hätte problemlos die finanziellen Mittel und die Weltgewandtheit, mit seiner Familie einen außergewöhnlichen Roadtrip zu leben. Ohne Kameras und Zeitdruck, dafür mit dem Herzen. 

Die Tatsache, dass ein Kamerateam (auf der Panamericana im Auftrag von RTL Zwei) dem Star auf Schritt und Tritt folgt, sollte dem Zuschauer in den heute so medial aufgeklärten Zeiten bewusst sein – und damit sollte auch die Erkenntnis einhergehen, dass keine dokumentierte und später ausgestrahlte Situation authentisch ist oder ehrlich. Dass sie nicht von Herzen kommt, sondern im Vorfeld arrangiert und abgesprochen wurde, vermutlich sogar mehrfach gedreht werden musste, bis alles sendetauglich im Kasten war. Und dass allein die Anwesenheit dieses Teams die Idee „kostenlos von A nach B“ kannibalisiert, weil ja nur vor der Kamera gebettelt und von zu Hause mitgebrachter Plunder getauscht wird.

Aber gut. Dies sind Aspekte, bei denen wir als Zuschauer für uns abwägen müssen, ob wir das der Show zuliebe akzeptieren wollen oder nicht.

Was mich als Person abstößt, sind andere Dinge, von denen ich mir wünschen würde, dass sie Fernsehsender, Zeitschriften und Veranstalter, die Kellys Inhalte wiedergeben, stärker hinterfragen würden:

Es geht nicht um Hilfsbereitschaft und Gastfreundschaft, es geht nicht einmal um das bereiste Land, sondern einzig und allein um „kostenlos“. Möglich, dass es emotionale, spannende, aufregende Momente mit Menschen, Spendern, Unterstützern gab oder geben wird, doch der Kontext, aus dem sie entstanden, macht sie ab der ersten Sekunde zunichte: Joey Kelly ist nicht abgereist, um tolle Menschen auf einer Reise kennenzulernen, sondern um „Ohne Geld – nur mit Spenden“ zu reisen. So weist es der Untertitel des Buches Bulli-Challenge ganz klar aus – und auch die Ankündigung zur Panamericana-Tour. Was für ein armseliger Grund, in die Welt hinauszufahren. Erst recht, wenn das eigene Konto dank dieser Tour am Ende voller sein wird als zuvor.

Schließlich ist es nicht so, dass bei dieser „Challenge“ ein Lionel Messi auf der Matte steht, dem vermutlich noch im letzten Dorf der Welt alle Kinder mit größter Begeisterung und leuchtenden Augen ihr Bett zur Verfügung stellen würden. Auch keine Taylor Swift, die sich am Abend bei ihren Gastgebern mit einem kleinen Ständchen bedanken und damit so etwas wie ein „Dankeschön“ zurückgeben könnte. Nein, da rollt ein in der Welt weitgehend unbekannter, mit Sponsoren bestickter Mensch vor, der sich selbst für keinen guten Musiker hält („Ich würde nie auf die Idee kommen, meine Musik zu kaufen.“). Und der – so legen es die Aufnahmen der zurückliegenden China-Expressreise (27 Tage) nahe – auch kein allzu großes Interesse an den Menschen hat, die ihm begegnen. Alle nett, alle toll, noch schnell eine CD der Kellys in die Hand gedrückt – und Tschüss. Sollte die Kamera dann doch mal genauer hinschauen, gibt es spöttische Kommentare über chaotische Werkstätten, billige Löhne und – huhu, wie ulkig – uneuropäisches Essen. Kurzum: So wie die zurückliegende China-Reise es belegte, verspricht auch die Panamericana-Tour nichts anderes zu werden als ein sinnfreies Abspulen von Kilometern auf Kosten Dritter.

Der uninteressierte Schnorrer, der nicht einmal eine Handvoll Wörter der Landessprachen beherrscht – für das Fernsehen ist das aber noch nicht genug. Da muss noch eine Spur Gefahr mit rein, damit aus einer x-beliebigen Reise ein Abenteuer wird. Eine „Challenge“. Blöd, dass der T1 2019 so zuverlässig lief, dass erst 50 Kilometer vor Peking ein plötzlich gelöster Gaszug auf der Autobahn („Ohne Standstreifen!“) für finale „Lebensgefahr“ sorgen musste. Nun gut, China ist eben nicht der peruanische Dschungel. „Joey Kelly: Piranha beißt ihn in Penis(Schlagzeile des Express vom 7.11.2020), da kann man nichts machen. Fun Fact: Piranhas ernähren sich überwiegend von Aas.

Es hilft also, auf beiden Seiten der Mattscheibe das Gehirn einzuschalten. Was auch für den jüngsten Erguss Kellys gilt, als er „plötzlich“ in politische Unruhen geriet. In einer zweiminütigen Videobotschaft, die RTL online bereithält, berichtet der Schauspieler Kelly davon, wie sich eine Situation „in nur fünf Minuten“ so dramatisch verändert habe, dass man schlimmstenfalls „mit Vollgas flüchten“ müsse. Aber muss Kelly nun durch die Straßensperre hindurch? Oder kam er aus der Richtung und ist nur noch einmal zurückgekehrt, um Bilder zu drehen? Und warum geht für ihn von der Situation eine Gefahr aus? All das bleibt im Unklaren. Auch hört man nur nebenher, dass die Situation sich in Südperu ereignet haben muss. Nach der Durchquerung von ganz Peru können die seit Monaten andauernden Unruhen also nicht ganz so überraschend gewesen sein (der explorer berichtete bereits im Dezember 22).

Stattdessen vor laufender Kamera Situationen fehlzuinterpretieren, um sie dramatischer und gefährlicher wirken zu lassen, als sie womöglich sind, ist schlichtweg unprofessionell, betrügerisch und stempelt Globetrotter gleichzeitig als Naivlinge und Hasardeure ab. Schließlich entwickelt ein Joey Kelly mit einem RTL-Zwei-Kamerateam eine nicht unerhebliche Medienaufmerksamkeit. Besser also, es schaut keiner hin.

 

 

 

(geschrieben Frühjahr 2023)

 

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