ON TOUR. OFF ROAD: REISEN. AUTOS. TECHNIK.

ON TOUR. OFF ROAD: REISEN. AUTOS. TECHNIK.

Betreutes Reisen

Immer mehr Produzenten entdecken ihre Kundschaft auch als Zielgruppe für weitere Angebote. Sind vom Hersteller geführte Reisen eine kluge Idee?
Wenn immer ein helfender Guide zur Seite steht, wagt der Einzelne dann mehr, als klug ist? Und welches Bild hinterlassen geschlossene Wagenburgen vor Ort?

Mit dem Allrad-Camper auf Tour gehen, das kann ein großes Abenteuer sein. Allein durch ent­legene Regionen navigieren, Lebensmittelkäufe, Kraftstoff- und Wasserversorgung vorausplanen, mit Menschen vor Ort Lösungen für Probleme finden, von denen man gehofft hat, sie gar nicht zu bekommen. Neue, unentdeckte Flecken finden, nette Bekanntschaften schließen, dazulernen. Offline sein. Vorbereitet sein. Gespannt sein.

Ich war immer davon ausgegangen, das wäre die Traumvorstellung einer großen Reise, würde ich mal herumfragen. Unter uns Expeditionsmobilbesitzern.

In der vergangenen Ausgabe berichteten wir auf vielen Seiten über das Soloreisen – und ich kann verstehen, dass schon allein die Vorstellung viele ängstigt, ­irgendwo auf der Transamazonica oder zwischen Gabun und Nigeria mit einem Problem, einer Panne, einer Panik ganz auf sich gestellt zu sein. Geht mir genauso. In dieser Hinsicht ist es so viel entspannter, befreiender und beruhigender, heute unterwegs zu sein, als es das noch vor zehn Jahren war. SIM-Karten gibt es an jeder Ecke, Mobilfunkempfang noch in der hinterletzten, nur noch sehr wenige Flecken der Welt bieten die Option, sich wirklich allein und auf sich gestellt zu fühlen. Wenn wir es wollen, suchen wir in Echtzeit nach dem Stellplatz für die kommende Nacht oder googeln das einzige Restaurant im nächstgelegenen Ort, das etwas anderes anbietet als Schafskopfsuppe.

Wir könnten also befreit aufbrechen in unsere ganz persönlichen Expeditionen, für die wir unsere Autos her-, aus- und hochgerüstet haben. Einfach drauflos, egal ob allein oder mit Partner oder Familie. Und hat man irgendwie übersehen, dass sich im neuen Reiseland kein Bargeld abheben lässt, dann schickt man sich eben schnell etwas Geld per Western Union in den nächsten Ort. Also, unter uns – ich find’s super!

Umso mehr überrascht mich ein boomender Trend der vergangenen zwei Jahre: geführte Expeditions-­Gruppenreisen. Wir, die wir alles für Autarkie und Autonomie tun und dafür immer neue fahrzeugtechnische Grenzen einreißen, wollen doch eigentlich lieber in der Gruppe durch die Welt tingeln? Woher kommt die so rasant steigende Nachfrage? Ich habe da einen Verdacht.

Abenteuer Gruppenreise

Geführte Reisen sind keine neue Erfindung, schon seit Jahrzehnten gibt es spezialisierte Anbieter, die ihre Kunden an besondere Orte entführen. Und es gibt die verschiedensten, sehr guten, stichhaltigen Gründe, sich hierfür anzumelden. Da wäre etwa das Befahren schwer zugänglicher Areale wie etwa Algerien. Die ­gemeinsame China-Passage, um sich die Kosten für ­Genehmigungen und Guide zu teilen. Die eine lange Tour im Leben, für die man sich zwar die Reisezeit nehmen konnte, nicht aber die Vorbereitungszeit. Überhaupt, Zeit wird häufig genannt für die Entscheidung pro Reisegruppe: In wenigen Wochen ­unbeschwert und unkompliziert ein neues Reiseland kennenlernen. Spannend! Ich erinnere mich gern an eine Fahrt mit guten Freunden, auf der ich genau das genoss. Einfach mitfahren und abschalten, während jemand anderes die Organisation übernahm. Ungewohnt, aber ein sehr reizvolles Ausscheren aus dem Üblichen.

Was ich hingegen in zunehmender Zahl auch wahrnehme, sind geführte Reisen, die eher an, sagen wir einmal, Vatertagsausflüge in XXL erinnern. Zwei-, Drei-Wochen-Reisen nach Marokko, Tunesien, Island. In Reiseländer also, die alles andere als herausfordernd sind, auch nicht für Einsteiger. Im Konvoi und in flottem Tempo geht es dann durch diese schönen, abwechslungsreichen Länder – kein Wunder, bei dem Reisezeitfenster ist kaum dafür Luft, den unbedingt nötigen und wortwörtlichen Gang herunterzuschalten. Dank sozialer Medien sind die Daheimsitzenden live dabei, wenn gewünscht, in mehrfacher Spielfilmlänge. Da rauschen wir bekennenden Individualisten also im lockeren Dutzend in den Urlaub, nur um bei der nächsten Gelegenheit über Pauschal- und Gruppenurlauber zu lästern. Das passt bei Bedarf auch in ein und dasselbe ­Social-Media-Posting, wie ich lernen durfte.

Sehnen wir uns im Jahr X nach Corona nur einfach wieder nach Nähe und Gemeinschaft, erwarten ­Rainbow- und Rotel Tours also womöglich genauso ihr großes Comeback wie der Cluburlaub? Oder ist uns einfach beim Träumen von der großen Expeditionsreise heimlich der Mut ausgegangen?

Fakt ist: Nahezu alle Reisemobilhersteller, die mehr als eine Handvoll Autos pro Jahr ausliefern, haben den Markt für sich entdeckt. Nicht nur Fahrzeuge anzubieten, sondern auch noch das dazu passende Reise­abenteuer mitsamt vollumfänglichem Service, das ist auf so vielen Ebenen – perfekt !

 

 

Abenteuer bis es kracht

Da wäre zunächst einmal die Gelegenheit, seinen ­Kunden ein bisschen zu formen. Ihm zu definieren, wo das Reiseabenteuer anfängt, wie es aussehen und funktionieren könnte. Das ist ein wichtiger Teil der Markenpflege und gleichzeitig der Beginn einer selbsterfüllenden Prophezeiung. Wenn ich meinem Kunden aus ­erster Hand meine Sicht der Welt zeige, wird er auch die Produkte kaufen wollen, die ich in diesem Bereich für wichtig und richtig halte. Wird verstehen, warum Komponente A „gut“ ist und Bauteil B „untauglich“. Warum als Hersteller über eine (andere) Heizung nachdenken, wenn Namibia der Nabel der Welt ist, warum über eine Staukasten-Klimaanlage, wenn Skandinavien im Winter das Traumreiseziel schlechthin ist? Ob Bequemlichkeit, Ego oder Weltbild – für den Kunden ist das nicht immer hilfreich.

Der Hersteller kann auf diese Weise auch definieren, wo Grenzen sind. Was „offroad“ überhaupt bedeutet. Was das Fahrzeug aushalten kann oder eben auch nicht. Sind diese Grenzen herstellerbedingt früh erreicht, ist der mitfahrende Servicetruck kein Armutszeugnis der abgelieferten Arbeit, sondern wird zum Musterbeispiel für Kundenservice umgedeutet. Und ist gleichzeitig ein Blankoscheck für weitere Aufträge nach Reiseende, damit der Wagen künftig noch besser für kommende Abenteuer gewappnet ist. Dritter Tank, Reifendruck-Regelanlage, neues Fahrwerk, verstärkte Kupplung – es gibt heute keine Grenzen mehr.

Es gibt Produzenten, die verstehen ihre Reiseangebote als Stärkung des Zusammenhalts, als Betreuung einer Stammkundschaft – wer mit seinem Auftragnehmer am Lagerfeuer saß, ist bei der nächsten Reklamation womöglich toleranter, im Ton freundschaftlicher.

Überhaupt, der Servicetruck, der mitreisende ­Mechaniker, die Reiseleiterin, die noch nachts am Sonntag um Mitternacht zum Beschaffen von Ersatzteilen ausschwärmt. Ist das möglicherweise einfach ganz normal – und die anderen, ganz auf sich gestellten Individualisten nur bedauernswerte Geschöpfe, ständig gestresst von ihren defekten Expeditionsmobilen?

Schließlich geht doch auf einer Expedition immer etwas kaputt. Das war bei Shackleton so und ist 2025 nicht anders. Bruch ist Teil des Abenteuers. Und wenn der Reiseleiter mit der Vorderachse in der Luft über die Dünenkante stürmt, dann ist doch etwas verkehrt, wenn der eigene Wagen dieselbe Aktion nicht überlebt. Wenn im Rückwärtsgang ziehend beim Bergemanöver der ­Antriebsstrang eines ausgewachsenen Dreiachsers auseinanderbricht, weil der Reiseleiter keine klügere Idee hat, als seinen Kunden gewähren zu lassen, dann ist doch das Material schuld, nicht der Mensch. Wenn der erfahrene Gruppenvortänzer sein Reisemobil schon auf einer ­asphaltierten Straße auf die Seite legt, dann ist die Welt des Expeditionsreisens doch einfach gefährlich – und allein loszufahren, ist deshalb vielleicht gar keine so kluge Idee.

Das ist eine Perspektive, die mir nicht gefällt. Ich glaube, nein ich hoffe, dass dieses unterschwellige ­Signal nicht bewusst auf diesen Erlebnistouren ausgesendet wird. Aber gerade Einsteiger, die so eine Reise zum ersten Mal unternehmen, lernen so eine vermeintliche Realität kennen, die nichts mit dem Reisealltag gemein hat, der bei so gut wie allen anderen Einzelreisenden gang und gäbe ist. Und so baut solch eine Tour  möglicherweise Hemmungen auf, anstatt sie abzubauen.

Lernen von anderen? Reisealltag

Sich mit Gleichgesinnten treffen, ein Stück gemeinsam reisen, sich unterstützen, Dinge voneinander lernen – es ist das Salz, nein, es sind alle Gewürze und Kräuter dieser „ExMo“-Suppe. So verstand ich, warum ich im Altiplano mit der Motorhaube gen Osten parken sollte, wie man die Dieselzufuhr entlüftet, dass laminierte Farbkopien der Papiere mehr als ausreichend sind für fast jede Polizeikontrolle – oder warum es gut ist, eine Ersatzventilplatte für den Kompressor dabeizuhaben. Allerdings gab es dafür nicht nur einen Lehrmeister, sondern unzählige. Es passiert ganz automatisch, wenn man sich eingesteht, keine Ahnung von nix zu haben.

In unserer Schullaufbahn, der Ausbildung, dem Studium, ja eigentlich im ganzen Leben, lernen wir von vielen unterschiedlichen Menschen. (Das ist übrigens auch das tolle am Journalismus: Es ist der Freifahrtschein, jeden fragen zu können, von jedem lernen zu dürfen.) Lasse ich mich in den Kosmos hersteller­betreuter Gruppenreisen fallen, ist das Risiko, in einer Blase gefangen zu werden, nicht unerheblich. Und auch wenn es im Markt durchaus vereinzelt Anbieter gibt, die ihre Reiseangebote als Anleitung zum Selbermachen sehen, als aufmunterndes Anschubsen,
stecken auch sie in einem Dilemma:

Der Grat, den Kunden einfach mit einem „Gute Reise“ in die Welt zu entlassen, mag, gerade im Hinblick auf die immer komplexeren, teureren Fahrzeuge, gefährlich kurz gesprungen sein. Wer sie mit auf eine Reise nimmt, muss aber auch ordentlich Wissen vermitteln, um die hohen Kosten zu rechtfertigen. So werden Radwechsel, der Umgang mit Sandblechen, das Warten des Fahrzeuges oder die Verrichtung quasi alltäglicher Dinge so weit aufgerührt und verkompliziert, um eine Beschäftigung mit dem Thema zu legitimieren, dass das Gegenteil des Unterrichts erreicht wird: „So kompliziert ist das alles? Dann fahren wir vielleicht nächstes Mal wieder mit euch los, ihr macht das dann schon.“

Ein Kreislauf, der wirtschaftlich höchst attraktiv ist, nicht umsonst entdecken auch immer mehr private Expeditionsreisende, dass sich mit ein paar Anekdoten, dem einen oder anderen Tipp, wie ein Radkreuz zu halten ist und wie sicher rückwärts um die Ecke rangiert wird (Affiliate-Link zur Rückfahrkamera inklusive), ein erkleckliches Sümmchen bei schönem Wetter verdienen lässt. Das mit dem Arbeitsvisum und den Abgaben an den jeweiligen Staat, in dem man dann unterwegs ist, na ja, das kommt dann beim nächsten Mal. Und auch die Hersteller setzen aus nachvollziehbaren Gründen auf dieses Segment: Wenn alle Fahrzeuge gebaut, alle Kunden bedient sind – mit einer geführten Reise bleiben sie auch über diesen Zeitpunkt hinaus wertvolle und treue Kunden.

 

 

Wo bleibt der eigentliche Grund zu reisen?

Erstaunlich ist auch, wie typisch deutsch die Anbieter an die Weiterbildung Expeditionsreise herangehen. Technik, Technik, Technik. Dabei soll das Reisemobil doch nur Mittel zum Zweck sein – und nicht Mittelpunkt. Sprache, Kultur, Natur, vielleicht der Umgang mit Behörden, Straßensperren, Kontrollen – das sollte zu einer Reise doch auch mit dazugehören. Es mag ein schmaler Grat sein, solche Elemente in eine vom Hersteller geführte Reise einzubinden, gerade weil das verbindende Element zwischen Veranstalter und Teilnehmer das Fahrzeug ist. Aber manchmal ist es nur ­eine einfache, kleine Geste: die so beliebte Wagenburg etwa – wer mag, wer will da schon als Einheimischer neugierig vorbeischauen, in diesen geschlossenen Ring, mit nach innen gekehrten Eingangstüren, der kaum ein klareres Signal senden kann, dass man hier gern unter sich bleiben möchte.

An dieser Stelle trennen sich auch die Wege von Fahrzeugproduzenten, die eine Reise anbieten und Reiseleitern, die ihren Kunden ein Land näherbringen wollen. Empfehlenswerte Anbieter haben oft lokale Kontakte, können Einblicke in die Lebensweise vor Ort geben, kennen sich in dem Land aus, kennen Zusammenhänge, egal ob wirtschaftlich, politisch oder geografisch. Sorgen so auch für Wertschöpfung im Land. Das aber ist ein eigenständiger Beruf, den macht niemand nebenbei, der eigentlich Fahrzeuge herstellt.

Es ist der Widerspruch zwischen Produktphilosophie und Dienstleistungsangebot, der mich etwas ratlos zurücklässt. Auf der einen Seite schaffen wir Fahrzeuge an, die darauf ausgelegt sind, auf keinen angewiesen zu sein. Nur um dann das florierende Angebot der Rundumbetreuung auf Reisen dankbar anzunehmen. Dabei sollte niemand in die Falle tappen zu denken, dass es anders nicht ginge. Es ist an uns selbst, diese Angebote zu hinterfragen, dieser vermeintlichen Verlockung zu widerstehen. Das Beste wäre, wir verständen sie als Freischwimmerabzeichen. Einmal unter fürsorglicher Anleitung mit einem Kopfsprung ins Wasser, zum Beckenboden tauchen – und danach aus eigenem Antrieb immer weiter und weiter. 

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