Rekord-Weltreise im Geländewagen: Nur die Welt ist nicht genug

30 Jahre. 890.000 Kilometer. Zwei Zahlen, die unglaublich erscheinen, erreicht von Gunther Holtorf und dem Ehepaar Schmid. Sind das noch Reisen oder schon wahnwitzige Projekte? Wir fragten nach

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Vor wenigen Tagen erreichte den explorer die Nachricht, dass Gunther Holtorf verstorben ist. In Erinnerung an seine Reisen lesen Sie hier einen Artikel, der in der explorer Ausgabe 02-2015 erschienen ist:

Zwei Jahre nur wollte Gunther Holtorf in Afrika unterwegs sein, als er 1989 im himmelblauen Mercedes 300 GD auf Reisen ging. Aus der per Inserat gesuchten Mitreisenden wurde die Ehefrau, aus 24 Monaten wurden 26 Jahre, aus einer Expedition durch Afrika eine Reise um die Welt. 890.000 Kilometer. Guinness-Buch-Rekord.

Als wir Gunther Holtorf zum Gespräch treffen, liegt sein Haus tief verschneit am Chiemsee. Der unkomplizierte, gastfreundliche Weltreisende öffnet die Tür, und schon sind wir mittendrin in der weiten Welt. Während der 77-Jährige uns mit seinen unendlich vielen Geschichten durch 215 Länder akustisch mit auf Reisen nimmt, ergänzen verschiedenste stilvoll dekorierte Andenken aus Asien und Afrika, farbenprächtige Fotos und unzähligen Bildbände in der großen Bücherwand das Reiseerlebnis visuell.

Was treibt jemanden an, immer weiter zu fahren, um schließlich alle Länder der Welt bereist zu haben? „Die Neugier zu sehen, was hinter der nächsten Ecke kommt. Man lernt ein Land nie richtig kennen, sondern entdeckt immer Neues“, antwortet Holtorf. Auf die Idee, die bereisten Länder zu zählen, hätten sie die Amerikaner gebracht, die immer wieder fragten: „How many countries?“ Aus einer „spinnerten Idee“ wurde ein Plan. „Man wuchs hinein.“

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So ging es auch dem Schweizer Ehepaar Schmid. Liliana, 73, und Emil, 72, wollten nur ein Jahr lang durch Kanada reisen – und sind bis heute unterwegs. Auch ihr Toyota Land Cruiser ist himmelblau, aber mehr als die Farbe ihrer Autos haben die beiden Extremreise-Paare kaum gemeinsam. Während die Schweizer den Kontakt zu anderen Globetrottern suchen, auf ihrer eigenen Website akribisch Buch führen, Bilder zeigen und per Telefon, Skype oder E-Mail erreichbar sind, waren Gunther und Christine Holtorf viele Jahre unterwegs, ohne die Öffentlichkeit zu suchen. Sie sammelten unzählige Dias nur fürs private Archiv und waren am Austausch mit Gleichgesinnten nicht weiter interessiert. Vor allem aber kehrten Gunther Holtorf und seine Frau, die im Jahr 2010 an einer Krebserkrankung gestorben ist, immer wieder zurück nach Deutschland, während das Ehepaar Schmid alle Kontakte in die Heimat verloren hat. Und immer weiter fuhr, weiter, weiter. GEO-Autor Markus Wolff, der das Paar vor einigen Jahren porträtierte, beschrieb Emil Schmid als „Getriebenen“, dessen „wahrer Motor die Bestätigung des Weltrekords“ sei.

Irre Routen. Die Touren von Ehepaar Schmid (grün) und „Otto“ (rot)

Daran hat sich auch 2015 nichts geändert. Wieder einmal ist das Paar in Afrika unterwegs, dem Lieblingskontinent der Weltenbummler. Und wieder einmal hat der Verlag den Rekord bestätigt, findet sich bei den automobilen Leistungen, neben Taxifahrten und Kilometerständen, auch der Hinweis auf die längste gefahrene Reise mit einem Auto, Foto inklusive. „Darauf bin ich schon stolz“, erklärt der pensionierte Informatiker. Vielleicht gibt es diese Gelegenheit im kommenden Jahr nicht mehr, denn die 890.000 Kilometer von Gunther Holtorfs „Otto“ erscheinen definitiv rekordverdächtiger. Auf den ersten Blick. Schmids sehen in ihm einen störenden „Herausforderer“, werfen ihm vor, dass seine Tour durch die längeren Heimaturlaube – das Fahrzeug parkte derweil im Depot – „keine richtige Reise“ gewesen, das ganze „Holtorf-Theater“ nur „ein von Mercedes Deutschland inszenierter Werbegag“ sei.

Wettkampf. Obgleich die Projekte sich sehr gleichen, schweißt das nicht zusammen. Stattdessen herrscht Rivalität

„Ja, der Rekord, für die meisten besuchten Länder in einem Auto‘ soll eingetragen werden, hat mir die BBC bestätigt“, sagt Holtorf dazu. „Mir ist es nicht so wichtig, aber Mercedes drängt ein wenig auf die Bestätigung.“ Also tatsächlich eine Werbeveranstaltung im Zeichen des Sterns? „Irgendwann bekam Mercedes Interesse an unserer Reise, und ich wusste, wenn eine Katastrophe passiert, stehen sie hinter der Tür und helfen. Aber wir wollten nie Sponsoren und uns jemandem verpflichtet fühlen. Es war eine rein private Reise, Mercedes hatte kein Mitspracherecht“, stellt Gunther Holtorf klar. Nur eine Ausnahme habe es gegeben: China. „Die dreimonatige Tour durch China 2011 geschah auf Wunsch von Mercedes, da man sich dort die Erschließung eines neuen Marktes erhofft und wir mit unserem Auto als Werbeträger dienten.“ Holtorf selbst hätte aus finanziellen Gründen auf diesen 30.000 Euro teuren Abschnitt der Reise verzichtet, der ihn mitsamt zweier Guides quer durch das große Land führte.

Internationale Presse. Das Interesse sei im Ausland größer als in Deutschland, ist sich Gunther Holtorf sicher

Ein Auto als Werbeträger nutzen zu wollen, das über 890.000 Kilometer im Originalzustand absolviert hat, liegt nahe. Umso überraschender, dass Toyota Liliana und Emil Schmid im Lauf der Reise die Unterstützung entzogen hat. Vielleicht, weil sich der Land Cruiser FJ60, Baujahr 1982, als zunehmend unzuverlässig entpuppte. 2006 wurde der schwere Geländewagen zum ersten Mal grundsaniert, sechs Jahre später ging es zum zweiten Mal länger in die Werkstatt. Motorenprobleme, Kupplung, Lenkgetriebe und viel Rost mussten behandelt werden.

Wissen die Schmids zwar nicht die Unterstützung des Toyota-Konzerns in ihrem Rücken, nutzen sie dafür zahlreiche Angebote anderer Firmen, um die Kosten ihrer jahrzehntelangen Fahrt zu reduzieren. Auf ihrer Website nennen sie jeden, der das Projekt im Laufe der Jahre unterstützt hat: Vom Kamerahersteller bis zum Fährdienst, vom Hotel bis zum Supermarkt ist in den mehr als 140 Einträgen alles vertreten. Der EXPLORER gehört nicht dazu. Weil dieser Artikel nicht mit Reisebildern der Schmids illustriert ist und dementsprechend auch keine Nutzungsrechte verkauft werden konnten, verzichtete das Paar daraufhin auf die Beantwortung noch ausstehender Fragen.

Medienpräsenz. Stolz werden zahlreiche Veröffentlichungen präsentiert. Die Schmids zieren über 250 Artikel

„Diese ‚Gönnerliste‘ ist nicht unbedingt die feine Art. Die beiden lassen sich nicht nur Unterkünfte bezahlen, sondern legen ihre Reiseroute teils auch nach Gratistransporten fest“, kritisiert Gunther Holtorf das Vorgehen des Schweizer Paares. Es ist unübersehbar: Die Extrem-Reisenden pflegen kein freundschaftliches Verhältnis.

Überraschend, verbindet die drei doch die gleiche Passion und hätten sie sich im letzten Vierteljahrhundert mehr als einmal über den Weg fahren können. Geschehen ist das nicht, man beäugt und kritisiert sich aus der Distanz. Ist die Weltreise mit dem einen Auto zur Obsession geworden?

„Ich würde niemals mit einem anderen Wagen fahren“, erklärt Holtorf. Diesen „modernen Computern auf vier Rädern“ traue er solche Reisen wie die mit „Otto“ nicht zu. „Die Entscheidung für ‚Otto‘ war richtig. Selbst einen Unfall in Madagaskar am Ende der Reise hat er überstanden. Leider schlossen danach die Türen nicht mehr, sodass das Blech gegen eine andere alte Karosserie ausgetauscht wurde.“

gunter holtorf

Unfälle, sie hätten jederzeit das Aus für die Rekordfahrt bedeuten können. Für Emil und Liliana Schmid sind die Stunden hinter dem Lenkrad noch immer der größte Risikofaktor. Hier ein Ausschnitt aus dem Tagebucheintrag vom 15. Oktober 2014, einen Tag vor ihrem 30-jährigen Reisejubiläum: „Es kracht fürchterlich. Der Land Cruiser bricht nach rechts aus, kracht die Straßenböschung hinunter, kippt erst nach rechts und dann nach links, überschlägt sich um ein Haar, kommt dann aber in der roten Erde aufrecht zum Stillstand.“

Das Auto hat nach einem Achsbruch ein Rad verloren, die Schmids beinahe ihr Leben. So verbringen sie ihren Jahrestag in einem Straßengraben in Angola und sind froh, den Unfall überlebt zu haben. Die anschließende Reparatur übernimmt Emil Schmid selbst, so wie auch Gunther Holtorf seinen „Otto“ überwiegend in Eigenregie pflegte. Mit einer Besonderheit: Als ehemaliger Geschäftsführer einer Fluglinie entschied sich Holtorf auch bei der G-Klasse für die präventive Wartung, tauschte Verschleißteile aus, noch bevor sie defekt waren. Dafür nahm er nach jedem Deutschlandbesuch im Austausch mit Erinnerungsstücken Ersatzteile mit zurück.

Dokumentation. Beide Paare fotografieren intensiv. Holtorf setzt bis zuletzt auf analoge Leicas

„Nun ist die Reise zu Ende.“ Wenn Gunther Holtorf in seinen wenigen freien Stunden Dokumentationen im Fernsehen ansieht, erfüllt ihn nicht Stolz auf das Geleistete, sondern Sehnsucht und Traurigkeit: „Das, was man erlebt hat, kommt nie wieder. Vieles hat sich verändert, in vielen Ländern gibt es die kleinen Dörfer nur noch für Touristen.“ Fast könnte man meinen, er bereue seine Entscheidung, das Auto ins Museum gegeben zu haben. „Am liebsten würde ich sofort wieder los nach Südamerika oder wochenlang mutterseelenallein afrikanische Tiere beobachten“, bestätigt er. Aber trotzdem sei für ihn das Projekt Weltreise abgeschlossen, nun warteten andere Aufgaben. Unter anderem die Restaurierung eines Ford Modell A, Baujahr 1931, aber auch die weltweite Präsentation von „Ottos Reise“, im Auftrag von Mercedes-Benz.

Währenddessen herrscht im Schweizer Land Cruiser weiterhin Reisestimmung, es gibt noch ein paar letzte weiße Flecken auf der Landkarte zu erfahren. Von den Kapverden wurde das Auto zuletzt nach Namibia verschifft, der 28. Containertransport mittlerweile. Die Inselgruppe im Südatlantik war das 181. Land der Tour – langsam wird die Auswahl der noch unbesuchten Regionen knapp und die Länder-Aufkleber auf der Fahrzeugseite vermehren sich nur noch langsam.

Zukunft. Für Gunther Holtorf ist das Projekt Weltreise beendet, das Ehepaar Schmid wird reisen, solange es geht

Doch Emil und Liliana Schmid bleiben unterwegs. Die Aufenthalte an einzelnen Plätzen werden länger, die Route wird auch schon einmal dem Gesundheitszustand angepasst, egal ob ein mehrwöchiger Hotelaufenthalt oder eine ärztliche Behandlung der Grund dafür ist. Nur ein Ziel ist wichtig: die längste Pkw-Nonstop-Reise aller Zeiten fortzuführen.

Ein Ausstiegs-Szenario wie es Gunther Holtorf jederzeit in der Hinterhand hatte, mit Haus, finanziellem Polster und Kontakten in die Heimat, besitzen die Schmids nicht. GEO-Autor Markus Wolff mutmaßte schon 2011: „Der wahre Motor ihrer Reise ist keine Neugier mehr, es ist die Tüte mit Unterlagen, die den Weltrekord bestätigt.“ Die „Longest driven journey“ – gemessen an der Fahrtzeit wird diese Auszeichnung dem Paar nicht zu nehmen sein. Zukünftig aber wird wohl im Guinness-Buch der Rekorde ein zweites himmelblaues Auto abgebildet sein, das in einer kürzeren Zeit mehr Länder durchfuhr und mehr Kilometer abgespult hat. Dann werden sich Gunther Holtorf und die Schmids zum ersten Mal nahe sein. In dem Buch, für das sie drei Jahrzehnte Strapazen auf sich genommen haben. Wahrhaft rekordverdächtig.

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