Als die alte Feuerwehr endgültig streikt, sucht sie sich dafür den denkbar schlechtesten Zeitpunkt aus. In diesem Moment parkt sie in Los Angeles, genauer gesagt in den Hollywood Hills, unweit des berühmten Hollywood-Schriftzuges. Und sie parkt vor einer Einfahrt, weil ihre Besitzer „nur mal eben schnell“ ein Erinnerungsfoto machen und in wenigen Minuten wieder weg sein wollen. Denn die alte Feuerwehr aus Deutschland, Baujahr 1974, ist in dieser Gegend nicht zugelassen. Mit ihren 7,5 Tonnen ist sie deutlich zu schwer für ein Gebiet, in dem nur Fahrzeuge bis 3 Tonnen erlaubt sind.
Die Feuerwehr kommt eigentlich aus Köln und ist seit einigen Monaten das Zuhause von Familie Neuschulz: Johannes und Julia Neuschulz reisen mit ihren drei Kindern für neun Monate durch die USA und Mexiko. Sie haben schon unglaublich viel gesehen und erlebt, als ihr Weg sie in die Hollywood Hills führt: die Great Lakes an der Grenze zu Kanada, die Amish People, leergefegte Nationalparks, Gastfreundlichkeit und immer wieder Neugier auf sie und ihr Reisemobil. „Wir sind überall mit der Feuerwehr hingefahren“, erzählt Johannes Neuschulz, auch denkbar schlechte Straßenverhältnisse halten die reiselustige Familie in ihrem Kurzhauber nicht auf. Genauso wenig wie die vielen Eigenheiten, die ein solches Auto mit sich bringt. Die Feuerwehr schafft bestenfalls 85 Stundenkilometer, häufig quält sie sich gar mit Tempo 15 daher. „Autowandern“, nennt ihre Familie das. Eine Unterhaltung während des Fahrens ist mühsam, bei Höchstgeschwindigkeit unmöglich.
Trotzdem – oder vielleicht gerade deshalb – haben die Neuschulzes ihren Camper von Tag eins an ins Herz geschlossen. Denn mit dem Kauf des Autos fing die Reise bereits an. Die ausgebaute Feuerwehr entdeckte Julia Neuschulz auf dem explorer-Fahrzeugmarkt und war sofort „schockverliebt“. Eine rein emotionale Entscheidung sei der Kauf gewesen, berichtet sie. „Wir mögen alte Autos und alles, was retro ist“, fügt ihr Mann hinzu. Nach rund einem Jahr Bastelei, in dem der alte Mercedes Kurzhauber generalüberholt und von zwei auf fünf Reisende umgebaut wurde, verschifften die Neuschulzes ihn von Hamburg nach Baltimore.
Die fünfköpfige Familie flog hinterher, nur der Hund – ein Retro-Mops – blieb in Deutschland zurück. Kurz vor der Verschiffung behob Johannes Neuschulz, der Zahnarzt, der bis dato wenig bis keine Erfahrung im Schrauben an alten Autos hatte, noch die letzten technischen Probleme: Metallteile in der Ölwanne und ein Starter, der plötzlich den Dienst quittierte. Vor allem Letzteres stellte sich als Auftakt zu einer Serie von Schwierigkeiten heraus, die Familie Neuschulz die gesamte Reise über begleiten und für mehr als eine unangenehme Situation sorgen sollte.
Rund ein Jahr benötigen die Neuschulzes, um die Feuerwehr von zwei auf fünf Reisende umzubauen
Gipfelnd in einer zugeparkten Einfahrt in den engen Gassen der Hollywood Hills. Was folgt, sind 40 „sehr intensive Minuten“, wie Julia Neuschulz grinsend verrät, in denen auch ihr letzter Trumpf, die Holzhammermethode, zunächst kläglich versagt. „Da wir in den USA keinen neuen Starter bekommen konnten, haben wir Rat in Internetforen gesucht“, berichtet Johannes Neuschulz über den Ursprung dieser ungewöhnlichen Reparaturtechnik. Jemand riet ihm, mit einem Hammer leicht auf den Starter zu schlagen – es funktionierte und ist seither das letzte Ass im Ärmel, wenn die Feuerwehr nicht anspringt. Einige Wochen später wird jedoch auch dieser Trick nicht mehr helfen und die Neuschulzes an einem einsamen Strand in Mexiko zu einer „OP am offenen Herzen“ nötigen. Für dieses Mal führt die Hammermethode glücklicherweise doch noch einmal zum Erfolg, die Feuerwehr hat ein Einsehen und befördert ihre Familie ohne Strafzettel wieder in legale Gefilde.
„Autowandern“ nennen die Neuschulzes ihren gemütlichen Reisestil
Die Neuschulzes nehmen diese und andere Hürden, wie streikende Elektrik, sportlich. Und die Macken ihres Reisemobils gern in Kauf, ist es doch häufig der Eisbrecher für Kontakte mit den Einheimischen und ermöglicht ihnen dadurch viele Erlebnisse und Bekanntschaften. Auf der Rückseite des Fahrzeuges hat die Familie einen Aufkleber befestigt, der jeden, der ihn liest, auffordert, ihnen Tipps für die jeweilige Region zu geben, in der sie sich gerade befinden. Eine außergewöhnliche Art von Reiseführer, die darüber hinaus auch außergewöhnlich gut funktioniert. Auf der Baja California in Mexiko bekommen sie den besten Tipp: Nach sechs Stunden gravel road – einfach immer weiterfahren, raten die Tippgebenden – erreicht die Familie ein einsames Fischerdorf. „Überwältigend schön. Da wären wir von allein nie hingefahren“, berichtet Julia Neuschulz. Aber auch in den USA, vor allem in den weniger touristischen Gegenden und den sogenannten Flyover States, erhalten sie dadurch die einheimischen Geheimtipps. Ebenso wie die eine oder andere Einladung zum Essen, manchmal nur als Zettel hinter der Windschutzscheibe.
Doch auch ohne den Hinweis am Heck ist die alte Feuerwehr in den autoaffinen USA ein Hingucker, auf den Familie Neuschulz beständig angesprochen wird. „Man kommt über das Auto sofort mit den Leuten ins Gespräch“, berichten sie. „Das Erste, was unsere Kinder auf Englisch sagen konnten, war: ‚It’s an old German fire truck‘“, lacht Johannes Neuschulz. Genervt hat sie die ständige Aufmerksamkeit und der Rummel um ihr Fahrzeug keineswegs. Im Gegenteil: Häufig hätten die dadurch entstandenen Kontakte ihnen in irgendeiner Weise weitergeholfen. Beispielsweise als die Solaranlage Probleme machte und jemand zufällig einen neuen, passenden Wechselrichter besorgen konnte. Er habe diese Gespräche sehr gemocht, erzählt Johannes Neuschulz weiter, wenn jemand kam und etwas über ihr Auto wissen wollte. Den Sohn der Familie wiederum hat die Autobegeisterung der Amerikaner begeistert. Er möchte deshalb in die USA auswandern. Die breiten Straßen, die vielen Pickups und nicht zuletzt der eine oder andere Offroad-Trip mit der Feuerwehr haben den Achtjährigen nachhaltig beeindruckt.
Als Top-Reiseziel nennen die Eltern dennoch ein anderes: die Baja California. „Die Natur dort hat uns völlig überrannt“, schwärmt Julia Neuschulz. Der Pazifik, die Wale, Delfine und Schildkröten haben es der Familie besonders angetan. Ebenso die Einsamkeit, die Johannes Neuschulz als „positive Einsamkeit“ bezeichnet. „Man steht allein und bleibt es auch“, fasst er die Erfahrungen zusammen. Auch diesen Umstand verdanken sie nicht zuletzt ihrem robusten Reisegefährt, dessen Allradantrieb ihnen ermöglichte, an Orte und Stellplätze zu fahren, die sonst unerreichbar gewesen wären. Dennoch sei es ihnen nicht darum gegangen, möglichst viel zu sehen und abzuhaken, sagt Julia Neuschulz. Vielmehr habe man die gemeinsame Zeit entspannt genießen wollen. „Ich wollte immer fühlen, wie das ist, wenn man nicht mehr weiß, welcher Wochentag gerade ist“, verrät sie. Als sie an einem Sonntag vor einem geschlossenen Supermarkt steht, ist es schließlich so weit.
Nur einen Traum verwehrt ihnen ihr Reisegefährt: Kanada. Die Feuerwehr ist nicht besonders gut isoliert, die Neuschulzes befürchten, dass sie kanadischen Temperaturen auf Dauer nicht gewachsen ist, Reisequalität und Stimmung zu sehr leiden würden. Stattdessen verbringen sie den Winter in Mexiko, Sommer nonstop. Den Kindern gefällt das Leben in und mit der Feuerwehr, auch die beiden Mädchen (neun und fünf Jahre alt) haben mittlerweile Auswanderungswünsche. Als sich die Reise dem Ende zuneigt, schmieden die Geschwister gar einen Plan: Sie wollen ihr gesammeltes Taschengeld spenden, um weiterreisen zu können, erklären sie den Eltern eines Abends in der Annahme, dass einzig finanzielle Gründe die Neuschulzes daran hindern, ihr Abenteuer fortzusetzen.
Ein rührendes Angebot, das Julia und Johannes Neuschulz natürlich nicht annehmen können. In einer Angelegenheit allerdings hat der Familienrat das letzte Wort: Ursprünglich wollte Johannes Neuschulz die Feuerwehr nach Ende der Reise in Mexiko wieder verkaufen. Da die gesamte Familie jedoch lautstark protestiert, wird der Kurzhauber in Veracruz erneut aufs Schiff gefahren. „Die Feuerwehr wird bleiben und das Feuer fürs Reisen auch“, fasst der Familienvater die Entscheidung zusammen. „Weil man merkt, wie gut sie tut“, fügt seine Frau hinzu. Weitere Autowanderungen nicht ausgeschlossen.