Die Panamericana steht für die ganz große Freiheit. Endlos erscheinende Pisten, die sich irgendwo am Horizont mit dem Himmel vereinen. Übernachten in völliger Abgeschiedenheit und abends am großen Lagerfeuer sitzen. Wunschbilder vom Panamericana-Traum. Diese Momente grenzenloser Freiheit gibt es tatsächlich, aber auch sie finden innerhalb bestimmter Grenzen statt. Und spätestens, wenn man mal mehrere Stunden in einer langen Fahrzeugkolonne an einer Grenze gewartet hat, weiß man wieder zu schätzen, wie sorglos wir heute dank des Schengener Abkommens in weiten Teilen Europas ohne Grenzkontrollen frei umherfahren können. Auch wenn Abkommen zwischen einzelnen Staaten Südamerikas – wie der Mercosur – den Handel vereinfachen, die Grenzen sind dadurch nicht offener geworden.
Oft ärgern wir Overlander uns über zu viele Grenzen, zu viele Kontrollen, zu viele Vorschriften, zu viele Einfuhrbeschränkungen. Und wenn man die Hintergründe nicht kennt, kommt einem manches auf den ersten Blick wie pure Schikane oder Willkür vor. So beispielsweise die strengen Importverbote bei der Einreise nach Chile. Jedes Mal bekommt man von der SAG ein Formular zum Ausfüllen. SAG steht für Servicio Agrícola y Ganadero, eine Art Land- und Viehwirtschaftsbehörde. Die SAG kontrolliert Lebensmittel, Pflanzen, Samen sowie Nutztiere und Haustiere, die ins Land eingeführt werden. So gut wie alle tierischen und pflanzlichen Produkte müssen bei der Einreise deklariert werden und sind zum Großteil verboten: frisches Obst und Gemüse, Holz, Samen, Gewürze, rohes oder gefrorenes Fleisch und Fleischprodukte, Milchprodukte und vieles mehr. Gefundene Lebensmittel werden dem Reisenden abgenommen und vernichtet. Als Camper kann man diese strengen Maßnahmen zunächst nicht nachvollziehen. Warum verbrennen die Chilenen vermeintlich gute Nahrungsmittel?
Gefräßige Fruchtfliege
Chile ist der größte Obstexporteur der südlichen Halbkugel. Und was den Export von Tafeltrauben, Blaubeeren, Trockenpflaumen und Kirschen betrifft, ist es sogar weltweit Marktführer. Obstexport ist nach dem Bergbau die wichtigste Einnahmequelle des schmalen Landes am Pazifik. Chile ist extrem stolz darauf, seit 1995 offiziell frei von der Fruchtfliege zu sein. Und um weiterhin weltweit Obst liefern zu dürfen, ist dieser fruchtfliegenfreie Status extrem wichtig. Die unscheinbare kleine Fliege mit dem wissenschaftlichen Namen Ceratitis capitata ist nämlich eine der größten Gefahren für die Landwirtschaft: sie attackiert 250 Pflanzen- und Obstsorten. Die Larven ernähren sich vom Fruchtfleisch und zerstören dabei die Frucht. Die Fruchtfliege ist so locker in der Lage, über 60 Prozent einer Ernte zu vernichten. Chile ist in Südamerika das einzige Land, das sich nicht mit diesem Schädling herumärgern muss. Damit das auch so bleibt, hat man die strengen Einfuhrbestimmungen geschaffen.
Doch mit etwas Vorbereitung kann man gewisse Dinge mitführen: Geschnittenes Obst, mit etwas Zitronensaft und Zucker mariniert, ist erlaubt. Eingekocht als Marmelade oder Kompott darf es ebenfalls die Grenze passieren. Ähnlich verhält es sich mit Fleisch. Gekocht oder gebraten, rettet man seine Restbestände über die Landesgrenze. Beim Fleisch geht es natürlich nicht um die Fruchtfliege, sondern um die Bekämpfung der Maul- und Klauenseuche. Kein süd-amerikanisches Phänomen, in Botswana beispielsweise geht man dabei sogar noch einen Schritt weiter: Hier müssen sämtliche Schuhe in eine Desinfektionslösung getaucht werden. Nicht nur das Paar, das man gerade an den Füßen trägt – alle!
Bei der Einreise nach Argentinien gelten ähnliche Vorschriften. Sogar innerhalb Argentiniens finden diverse Kontrollen statt, denn dort gibt es vereinzelte Gebiete wie Tucumán, Salta, Jujuy, Catamarca, Cuyo und Teile Patagoniens, die als fruchtfliegenfrei gelten und daher besonders geschützt werden. Ob die Insekten die Grenzen auch so genau kennen und dann auch immer brav dort umkehren? Die chilenischen Fliegen würden das bestimmt tun, bei den argentinischen wäre ich mir da nicht so sicher.
Kleiner Käse, hohe Strafe
Die Argentinier sind von Natur aus lockerer und nehmen es nicht so genau. Mit ihnen kann man schon mal verhandeln. Ich erinnere mich an eine Situation, als ich eine angebrochene und eine komplette Knoblauchknolle hatte und sie beide dem Zöllner hinhielt. Er nahm zuerst beide und gab mir dann eine wieder zurück. „Damit das Abendessen noch schmeckt“, meinte er mit einem Augenzwinkern und lächelte. Bei einem Chilenen wäre das undenkbar. Wenn man auf dem SAG-Formular nicht eindeutig „Ja“ angekreuzt hat bei der Frage, ob man pflanzliche oder tierische Produkte mit sich führt, wird man schnell mit einem Drogenschmuggler auf eine Stufe gesetzt. Bei meiner letzten Tour hatten Teilnehmer ihre Reste im Badezimmer versteckt. Dummerweise kam der Kontrolleur mit einem Spürhund ins Wohnmobil. Der Vierbeiner schlug bellend Alarm. Sofort war klar, dass die Lebensmittel nicht aus Versehen vergessen wurden, denn wer lagert schon Käse und Orangen zwischen Toilettenpapier und Zahnpasta? Die Schmuggelware wurde gewogen und notiert. Beschlagnahmt wurden 777 Gramm Kartoffeln, 377 Gramm Käse sowie 176 Gramm Orangen. Es wurde ein Schriftstück ausgestellt und den „Verbrechern“ angeordnet, am nächsten Tag in La Serena vorstellig zu werden. Die Atmosphäre glich einer Anhörung vor Gericht. Demütig gestanden sie ihren Fauxpas ein, entschuldigten sich und schworen mit gesenkten Häuptern, nie wieder etwas Derartiges zu tun.
Die Fruchtfliege ist in der Lage, über 60 Prozent einer Ernte zu vernichten
Die offenkundige Reue wurde wohlwollend zur Kenntnis genommen. Auf das Urteil hatte das aber keinen Einfluss, denn die Strafe fiel mit 281.832 Chilenischen Pesos, umgerechnet rund 375 Euro, recht saftig aus, Gesetz ist Gesetz. Und wenn man sich bewusst macht, was eine eingeführte Fruchtfliege für einen enormen Schaden anrichten kann, dann versteht man das rigorose Vorgehen.
Holz vermeiden
Ist der Verlust einiger Lebensmittel zwar ärgerlich, aber nicht das Ende der Welt, kann das Einfuhrverbot von Holz deutlich gravierendere Folgen haben. Vor vier Jahren blieb ein Mercedes mit einem Getriebeschaden in der chilenischen Stadt Punta Arenas liegen. Der Schaden war irreparabel, ein neues Getriebe musste her. Mit Importsteuer und Transportkosten wahrlich kein Schnapper. Womit wir jedoch nicht gerechnet hatten, war, dass das Getriebe beschädigt ankam! Erst im Nachhinein stellte sich heraus, dass das Getriebe ursprünglich in einer Holzkiste verpackt gewesen war. Da Holz nicht importiert werden darf, wurde die Kiste in Santiago de Chile entfernt und das Getriebe ohne schützende Verpackung weitergeschickt. Die Werkstatt vor Ort war zum Glück in der Lage, aus zwei kaputten Getrieben ein ganzes zu basteln. Seit diesem Erlebnis sage ich bei jeder Bestellung dazu, dass man auf keinen Fall Holz als Verpackung nehmen dürfe.
Aufbrauchen statt verstecken
Zugegebenermaßen habe auch ich früher gern Essensreste versteckt. mittlerweile halte ich mich an die (meisten) Regeln. Schließlich sind wir Gast und sollten uns entsprechend respektvoll verhalten. Außerdem gibt es Schlimmeres, als Reste am Tag vor einem Grenzübertritt aufzubrauchen. Lasst euch bitte von diesen kleinen Einschränkungen nicht die Laune oder den Appetit verderben, sondern konzentriert euch auf die vielen positiven Aspekte, die das Reisen in Lateinamerika so einmalig machen.