Zugegeben, zwischen Fluchtreflex und Feierlaune liegen an Polens Ostseeküste vielerorts nur wenige Kilometer, vor allem im Hochsommer. Dann strömen Urlauber aus dem ganzen Land ans Meer und bevölkern Badeorte, Strände und Lokale. Das Gute daran: Hier mag man es gesellig bis trubelig – und gegen ein umfangreiches Unterhaltungsprogramm hat man auch nichts einzuwenden, egal, ob das Bootsfahrten auf nachgebildeten Piratenkoggen sind, oder einfach nur eine Shoppingmeile, randvoll mit Tinnef. Wer sich aber vor seiner Abreise die Kartendaten und Luftbilder sehr genau zu Gemüte führt entdeckt, dass zwischen diesen Hotspots, auf 520 Kilometern Küste von Świnoujście bis nach Hel, mancher fantastische Fleck wartet. Nicht nur direkt an der Küste, sondern auch im Hinterland.
Das liegt auch mit daran, dass Polen mit über 9.300 Seen so viele Gewässer pro Quadratkilometer besitzt, wie in Europa sonst nur noch Finnland. Zusammen mit der sich stetig wandelnden Ostseeküste, die für ihre Dünen, Haffs und Nehrungen bekannt ist, ist die Region sehr kleinteilig und ändert ihre Facetten auf kurzen Entfernungen immer wieder. Extreme Offroad-Abenteuer finden sich hier nicht, dafür sind Westkarpaten und hohe Tatra im Süden des Landes sicherlich die bessere Wahl. Wer es hingegen liebt, über verträumte Schotterpisten und Nebenwege durch das Land zu rollen, sein Lager an einem einsamen See aufzuschlagen oder unter dem Kronendach der ufernahen Kiefernwälder, der ist hier genau richtig.
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Wer in Świnoujście die Grenze überqueren will, der sollte beachten: Die im Stadtzentrum verkehrende Fähre nimmt keine Touristen mit, sie ist ausschließlich für Anwohner reserviert. Urlaubern steht eine Fähre südlich der Stadt zur Verfügung, die zwar kostenlos ist, aber ihre Fahrgäste auch mit langen Wartezeiten auf die Probe zu stellen vermag. Wer von weiter südlich anreist, sollte schon in Stettin die Oder queren – und für die alte Hanse- und Universitätsstadt gleich den ersten Tag Aufenthalt einplanen.







Der Schlenker auf die Insel Wollin hingegen, Polens größte Insel, empfiehlt sich nur in der Nebensaison. In der Urlaubszeit sind die vielen historischen Alleen schnell verstopft. Dabei weiß Wollin zu überraschen – im Nationalpark leben Wisente und der 21 Meter tiefe Jezioro Turkusowe schimmert im Sonnenlicht auffällig karibisch. Heute als Badesee genutzt, war der türkise See, so die deutsche Übersetzung, eigentlich nur eine schlichte Kalkgrube. Und solange das Wasser klar ist, bricht sich das Licht erst auf dem hellen Seegrund. Einen Besuch wert ist auch die rekonstruierte Wikinger- und Slawensiedlung auf Wollin, die einen lebendigen Einblick in die Frühgeschichte erlaubt. Hier findet seit vielen Jahren jeden Sommer auch eines der größten Wikingerfestivals Europas statt – was eigentlich ein sehenswerter, lebendiger Termin war, wurde in den vergangenen Jahren jedoch beängstigend stark von Rechtsradikalen aus ganz Europa unterwandert. Wer das dreitägige Fest im August (2019: vom 2. bis 4.8.) besuchen will: Augen auf, Kopf an, um Nordmänner und Rechte klarer trennen zu können.
Sand, Lehmböden und Moore prägen die Küstengebiete Polens, darüber breiten sich vielerorts Kiefernwälder, Eichen- und Buchenhaine aus. Mit den letzten Urwäldern Europas, die im Süden und Osten Polens liegen, hat dies zwar nichts zu tun, aber gerade im Hochsommer, wenn die Sonne für Temperaturen jenseits der 30 Grad sorgt, bieten sich die vielen alten Alleen und Waldwege an, abseits der Hauptverkehrsstraßen durch das Land zu mäandern. Für große Lkw ist das, mit wenigen Ausnahmen, nichts – zu schmal, zu zugewachsen sind die Fahrspuren. Besser noch, als mit dem Auto zu explorieren: den Wagen abstellen und auf das Fahrrad umsteigen. So zum Beispiel im Badeort Mrzeżyno. Campen kann man hier entweder direkt am Flussufer mit Stadt- und Stromanschluss oder einige hundert Meter weiter im Wald. In Richtung Westen wartet dann ein weitläufiges, für Fahrzeuge gesperrtes, Waldgebiet. Im kalten Krieg war die Anlage noch vollständig militärischer Sicherheitsbereich, heute gibt es nur vereinzelt abgesperrte Areale.
Anders sieht es rund um Borne Sulinowo aus. Die Heide und Wälder südöstlich der Provinzstadt, kaum 4.500 Einwohner stark, dienten bis 1992 als Truppenübungsplatz der roten Armee. Viele dieser von Panzern der 90. Division breit ausgefahrenen Wege sind zugänglich und können mit dem Auto befahren werden. Heute ist das große Areal ein Naherholungsgebiet, mit ausgeschilderten Rad- und Wanderwegen. Dazu gibt es Stationen, wo man sein Kajak zu Wasser lassen und auf der Pilawa oder den zahlreichen miteinander verbundenen Seen paddeln kann. Hier ist kein wildes Querfeldein-Bolzen mit dem Wagen angesagt, sondern gemäßigtes Tempo auf den im Sommer staubtrockenen Sandpisten. Vereinzelt gibt es befestigte und markierte Parkflächen, unter der Woche kann man sich aber auch weiter in das dann kaum besuchte Gelände hineinpirschen und an abgelegenerer Stelle übernachten. Fans von „Lost Places“, aus der Zeit gefallenen Plätzen, kommen hier ebenfalls auf ihre Kosten: Die von den Russen zurückgelassenen Anlagen und Wohnblöcke stehen bis heute leer, eine Geisterstadt im Plattenbau-Format.
Bizarrer Aspekt von Borne Sulinowo: Als der Ort in den 1920er-Jahren Groß Born hieß und keine 300 Menschen dort lebten, wurde der Truppenübungsplatz von keinem anderen als Erwin Rommel geschaffen, der hier sein Afrikacorps zusammenstellte.
Überhaupt, der Krieg. Polen ist übersät mit Relikten des Zweiten Weltkrieges und des Kalten Krieges, immer wieder passiert man alte Landebahnen, Übungsplätze, Bombenkrater oder Kasernen. Auch an einem der schönsten freien Stellplätze der Küste, hoch oben über der Danziger Bucht, schweift der Blick über Ruinen, hier ist es die der Torpedo-Testanlage am Hexengrund. Das wahre Grauen aber bleibt unter der Oberfläche, vor der seeseitigen Küste der gegenüberliegenden Halbinsel Hel wurde am 30. Januar 1945 die Wilhelm Gustloff versenkt – und mit ihr 9.000 Menschen. Es ist mitunter ein beklemmendes Gefühl, hier und dort unvermittelt auf stumme Zeugen dieser Vergangenheit zu stoßen – und es lässt die Gedanken am abendlichen Lagerfeuer mitunter in ganz andere, wenig urlaubskompatible Regionen abdriften.

Was als Gegenmittel hilft, ist das mitreißende Flair in Danzig, wohl eine der charakterstärksten Städte an der gesamten Ostseeküste. Hier ein, zwei Tage Pause einzulegen, ist ein Muss, die schattigen Campingplätze unweit des Strandes von Stogi sind hierfür die beste Basisstation. Entweder mit der Straßenbahn oder mit den mitgebrachten Rädern ist die Innenstadt schnell erreicht und ein kühles Getränk in einer der Bars entlang der zahlreichen kleinen Gassen nicht weniger zügig serviert.
Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft – die liegen in Danzig eng beieinander. Hier ausgebombte, brachliegende Industriegebäude aus der Jahrhundertwende, dort sorgsam restaurierte und bewahrte Bausubstanz, dazwischen ein Neubauwahnsinn, der sich gewaschen hat. Vom Turm der trutzigen Marienkirche, 82 Meter und 409 Stufen rund um einen bedrohlichen Abgrund hoch gelegen, kann der Blick bei sonnigem Wetter bis an die Küste schweifen, oder hinein ins Landesinnere, wo es noch so viel zu entdecken gibt.
Aber das Erkunden beginnt schon direkt außerhalb der 517 Jahre alten Kathedralbasilika, die vor allem für ihre vier prunkvollen Orgeln berühmt ist: Im Sommer sind die Straßen der Altstadt häufig mit Marktbuden und Flohmarktständen vollgestellt, fliegende Händler verkaufen selbst gemachte – oder zumindest selbst in kleine Flaschen umgefüllte – Limonade, es gibt allerlei Gebäck und Snacks zu probieren, ein findiger Bastler hat seinem Van einen vollständigen Steinofen verpasst. Der Transporter ächzt merklich unter seiner tonnenschweren Last, die Pizza hingegen ist hervorragend.
Wer es lieber deftig mag: Piroggi, gefüllte Teigtaschen, sind eine traditionelle Speise der Region. Als geräuchterte Variante, mit wurstigem Aroma und einem Klecks Preiselbeer-Marmelade, sind sie aber eine geschmacklich recht besondere Erfahrung.

Bevor es durchs Landesinnere zurück nach Westen geht, wären ein paar Tage an einem großartigen, einsamen Strand nicht verkehrt? Dann sollte das Ziel Leba heißen, die dortige Dünenlandschaft lässt sich über einen mehr als 30 Kilometer langen Wanderweg erkunden. Der umliegende Nationalpark von Slowinski beherbergt, neben der aktuell 42 Meter hohen Wanderdüne, die sich pro Jahr zehn Meter ins Landesinnere bewegt, mehr als 460 Insektenarten – für alle, die gerne etwas genauer hinschauen. Wer kein so scharfes Auge hat, dem bleiben immerhin 270 Vogelarten, darunter Seeadler, Rotmilane, Uhus und Sumpfohreulen. Außerhalb der Sommerferien hat man die Gegend häufig komplett für sich allein, innerhalb des Parks zu übernachten, bleibt dennoch untersagt. Doch die Tage sind lang, die Abende mild, da kann man eine lange Wanderung zum entlegenen Dünenfleck gut einplanen.
Und einen freien Stellplatz in der Umgebung zu finden, fällt im Norden Polens ohnehin nicht sehr schwer. Obgleich eigentlich untersagt, wird das Übernachten außerhalb von Stell- oder Campingplätzen auch innerhalb von Ortschaften in aller Regel akzeptiert – zurückhaltendes Auftreten vorausgesetzt. Einzige Ausnahme sind die sommers überlaufenden Badeorte, hier weisen verbreitet Schilder auf reglementierte Parkzeiten oder Übernachtungsverbote hin. Was kein Problem ist, denn die Polen sind Camping-Fans und die Auswahl an Campingplätzen in diesen Regionen zu jeder Jahreszeit mehr als ausreichend.
Zu solchen Hotspots gehört ohne Frage die Halbinsel Hel, die auf 34 Kilometern Länge die Danziger Bucht von der Ostsee trennt. Das seichte Wasser an der Südseite der Insel ist bei Wasserportlern aller Art beliebt, die Dichte an Unterkünften und Campingplätzen entsprechend hoch. An der schmalsten Stelle gerade einmal 200 Meter breit, gehören die Strände hier zu den besten des Landes. Da es eine regelmäßige Fährverbindung direkt hinein nach Danzig gibt (zwei Stunden Fahrzeit), böte es sich auch an, von hier aus die Hansestadt zu erkunden – und am Abend zum Sonnenuntergang noch einmal durch die Dünen zu spazieren.
Nein, absolute Einsamkeit auf Tage hinaus, das wird der Norden von Polen nur außerhalb der Saison bieten können. Wer das wünscht, muss weiter die Küste entlang fahren, hinein ins Baltikum. Doch für eine Mixtur aus Strandleben, Waldpartien und pulsierendem Stadtflair, miteinander durch rumpelige Alleen, staubige Pisten und kaum befahrene Forstwege verbunden – da ist Pommern genau der richtige Partner für. Die Distanzen sind kurz, die Bevölkerungsdichte gering und das Wetter im Sommer oft auf Wochen hinaus stabil. Das klingt doch nun wirklich nicht mehr nach Fluchtreflex!









Reiseinformationen Polen
Die Küstenregionen Polens liegen in den Woiwodschaften (Verwaltungsbezirken) Pommern und Westpommern mit ihren Provinzhauptstädten Stettin und Danzig – Polens sechst- und siebtgrößten Städten. In dieser Region leben mit rund vier Millionen Menschen etwa zehn Prozent der Gesamtbevölkerung. Die Küstenlinie beträgt 528 Kilometer, das Hinterland ist von Wäldern, Seegebieten und Heidelandschaften geprägt.
Anreise
Die Grenze zu Polen ist von Berlin in weniger als einer Stunde erreicht, aus Hannover (450 Kilometer), Frankfurt oder München (zirka 750 Kilometer) sollte man bis nach Stettin mindestens einen vollen Anreisetag einplanen. Die Fährüberfahrt im Ortskern von -Swinoujscie ist nur Ortsansässigen vorenthalten, die südlich der Stadt gelegene (kostenlose) Fähre ist nur für Anreisende aus Norddeutschland sinnvoll, alle anderen queren die Grenze bereits weiter südlich, bei Stettin. Seit 2004 ist Polen Mitglied der Europäischen Union, die Einreise efolgt also ohne reguläre Grenzkontrollen, dennoch muss ein gültiger Ausweis oder Pass mitgeführt werden.
Unterwegs in Pommern
Für die Teilnahme am Straßenverkehr ist das Mitführen der Grünen Versicherungskarte zwar keine Pflicht, aber empfehlenswert. Stimmt der Halter eines Fahrzeuges nicht mit dem Fahrer überein, muss unbedingt eine Nutzungsbevollmächtigung vorliegen. Ein Muster bietet die polnische Botschaft in Berlin. Es gilt eine 0,2-Promille-Grenze, auch geringfügige Überschreitungen können mit hohen Strafen, Führerscheinentzug, Fahrzeugsicherstellung und Freiheitsstrafen geahndet werden. Es muss ganztägig mit Abblendlicht, bei guter Sicht mindestens mit Tagfahrlicht gefahren werden. In Polen sind Autobahnen für alle Fahrzeuge mautpflichtig, es kann sowohl bar, mit Kredit- oder Bankkarte als auch elektronisch mit dem Sendegerät viaAUTO bezahlt werden. Die elektronische Bezahlung setzt eine vorherige Anmeldung bei viaTOLL voraus. Fahrzeuge über 3,5 Tonnen müssen Lkw-Fahrverbote beachten, mit dem elektronischen Sendegerät viaBOX ausgestattet sein und Gebühren mittels viaTOLL bezahlen. Der Konsum von Alkohol in der Öffentlichkeit ist verboten. Achtung, nähert man sich wandernd der grünen Grenze zu Russland/Kaliningrad: Diese ist an verschiedenen Stellen nur durch weit auseinanderliegende Grenzsteine markiert. Wer die Grenze (auch nur für wenige Meter) illegal überschreitet, muss mit der Festnahme durch die russische Grenzpolizei und mehrjähriger Haftstrafe rechnen.
Übernachten & Campen
Offiziell ist Camping oder Übernachten außerhalb von hierfür vorgesehenen Stell- oder Campingplätzen nicht gestattet. Eine große Anzahl von geeigneten Anlagen jeder Art und Größe bietet hierfür auch eine gute Basis, allerdings kann es in der Ferienzeit an besonders beliebten Plätzen vereinzelt zu Engpässen kommen. Im Alltag wird das Campingverbot jedoch nicht strikt durchgesetzt und eine Übernachtung im Freien, so man sich rücksichtsvoll verhält, ist in aller Regel unproblematisch.
Beste Reisezeit
In Polen herrscht ein gemäßigtes Übergangsklima, hier treffen feuchte atlantische Luftmassen auf trockene Luft aus der Tiefe des eurasischen Kontinents. Dadurch hat Polen ein sehr wechselhaftes Wetter. In Nord- und Westpolen dominiert ein gemäßigtes See-klima mit milden, feuchten Wintern und kühlen Sommern mit hohen Niederschlägen. Im Osten herrscht hingegen vorwiegend kontinentales Klima mit heißeren und trockeneren Sommern. Heiße Tage mit über 25 Grad Celsius treten in Polen von Mai bis September auf. Ihre Anzahl steigt proportional mit der Entfernung zur Ostsee. Am Kap von Rixhöft gibt es im Schnitt fünf heiße Tage. Die polnischen Sommerferien beginnen am 22. Juni und enden am 31. August, dann sind die Seebäder sehr gut besucht.
Sicherheit & Gesundheit
Polen ist ein sicheres und unkompliziertes Reiseland. Dennoch weist das Auswärtige Amt darauf hin, dass es insbesondere in Großstädten und auf viel befahrenen Strecken zu Diebstahl oder Raub von Kraftfahrzeugen kommen kann, unter anderem durch vorgetäuschte Unfälle oder Pannen. Auch rät das Amt dazu „attraktivere, neuwertige Fahrzeuge nur auf bewachten Parkplätzen abzustellen“.
Navigation, Karten, Video & Bildergalerie
Um in Polen zu Navigieren, enthält jedes handelsübliche Navigationsgerät und jede App alle relevanten Daten, dank EU-Roaming kann bei Bedarf auch online navigiert werden. Der Händler Polenkarten.de bietet eine große Auswahl an Papierkarten, bis hinunter zum Maßstab 1:50.000