Leser unterwegs: Bolivien

­Markus Kirchgeßner erkundet mit Frau Ellen und Sohn Lasse das Hochland Boliviens

Der Salar de Uyuni im Morgenlicht. Seine weiße Weite ist tagsüber fast surreal

Den Wind im Gesicht spüren, unterwegs sein, andere Länder und Menschen kennenlernen – viele Male packten wir unsere Motorräder mit dem Nötigsten und fuhren los. Das Marienflusstal im Norden Namibias, der Wauen-Namus in der libyschen Sahara oder die Wälder der rumänischen Karpaten. Nur eine kleine Auswahl von Reise-zielen, und jedes Mal kamen wir voller neuer Eindrücke zurück. Wir konnten nicht genug davon bekommen. 2014 trat der kleine Lasse in unser Leben und veränderte es nachhaltig. Ein Motorradgespann erweiterte den Fuhrpark und verlagerte den Fokus auf Deutschland und Europa. Seit einem Jahr wohnen und arbeiten wir nun in La Paz in Bolivien. Wenn es die Zeit hergibt, erkunden wir das Land mit dem Geländewagen.

2003 reiste ich in einer geführten Tour, diesmal bestimmen wir alles selbst“

Die letzte Zahlstelle liegt gerade hinter uns. Der Verkehr wird spürbar weniger. Wir verlassen den Großraum von La Paz und El Alto Richtung Süden. Im Auto sind unsere Sachen verteilt. Die Vorräte an Wasser, Proviant und Benzin sind aufgefüllt. Dazwischen Lasses Kuscheltiere und diverse andere Spielsachen. Im CD-Spieler erklärt ein Sprecher das Leben der Dinosaurier und sorgt bei unserem Junior für eine Kaskade von Fragen. Bis Oruro sind wir gut beschäftigt. Die fünftgrößte Stadt Boliviens liegt gute drei Fahrstunden südlich von La Paz. Schon lange haben wir uns auf den einsamen Süden des Landes gefreut. Nächte im Dachzelt, die Weite der Wüste und die faszinierenden Landschaften aus Lagunen und Vulkanen. 2003 konnte ich schon einmal als Rucksackreisender diesen Teil der Erde besuchen und war nachhaltig beeindruckt. Und diesmal werden wir, anders als damals in einer geführten Jeeptour, selbst über Route und Lagerplatz bestimmen. So jedenfalls ist der Plan.

 

Ellen, Lasse und Markus Kirchgeßner, 2018 Bolivien/ Chile

 

Alter: 42, 43, 4

Wohnort: La Paz, Bolivien

Reiseländer unter anderem: Bolivien, Chile,
Rumänien, Namibia, Libyen

Reisedauer: vier Wochen

Reisestrecke: zirka 3.500 Kilometer

 

Nissan Pathfinder R50

Baujahr: 2004

Motor: 3.500 cm3, 220 PS

Verbrauch: 12 l/100 km, Benzin

Aufbau: Dachzelt

Schlafplätze: 3

 

 

Die Wegfindung gestaltet sich einfach. Nach Oruro 90 Kilometer geradeaus und dann rechts ab. 100 weitere Kilometer später stehen wir am Meteoritenkrater bei Jayu Quta. So perfekt rund bekomme ich meine Kreise im Matheunterricht nie an die Tafel. Seit Langem klappen wir mal wieder das Dachzelt auf und genießen den Ausblick. Lasse will das Gehörte gleich in die Tat umsetzen und sucht fleißig nach Dinosaurierspuren. Zum Glück findet sich Etliches, was als solches noch durchgeht, in Reichweite vom Lagerplatz. Die Zeit vergeht wie im Flug und wir erkennen die Anzeichen des aufziehenden Sturms nicht. Plötzlich peitschen uns Sand und Staub in starken Böen ins Gesicht. Wir klammern uns an das Zelt und stemmen uns dagegen, um den Stoff vor dem Reißen zu bewahren. Eine Entscheidung muss her. Lasse wandert auf seinen Kindersitz und eine Minute später ist das Zelt wieder zusammengeklappt. Ob uns eine beengte Nacht im Auto bevorsteht? So schnell wie der Sturm gekommen ist, verzieht er sich auch wieder. In den kommenden Tagen wird der Wind aber zu einem ständigen Begleiter für uns werden.

Weiter Richtung Süden ist der Vulkan Tunupa eine unübersehbare Wegmarke. Irgendwann hören Steine und Schotter auf und machen einer weißen Ebene Platz. Der Salar de Uyuni liegt vor uns, die größte Salzpfanne der Erde. Unser Freund Joe aus Karlsruhe ist hier schon einmal zu Fuß von der einen zur anderen Seite gelaufen. Eine beeindruckende Leistung, gerade weil man ohne jeden Referenzpunkt auf dem See schnell die Orientierung verlieren kann. Wir finden bei Tahua eine zu dieser Jahreszeit passierbare Auffahrt auf den Salzsee und fliegen kurze Zeit später der Insel Incahuasi entgegen. Beeindruckend große Kakteen besiedeln den Felsenberg. Dazu ein paar kleine Cafés und Versorgungsgebäude. Wir suchen aber einen unbewohnten Platz für die Nacht und finden diesen bei der kleinen Fischinsel. Eine Felswand als Windschutz hält uns dieses Mal den Rücken frei.

„Wir klammern uns ans Zelt, stemmen uns dagegen, um den Stoff vor dem Reißen zu bewahren“

Südlich vom Salar erstrecken sich die Hochwüsten Boliviens. Wir werden uns in den kommenden Tagen immer in einer Höhe von mehr als 4.000 Metern bewegen, entlang der chilenischen Grenze. Das, was nun auf den knapp 300 Kilometern folgt, ist für uns eine der spektakulärsten Landschaften der Welt. Von Nord nach Süd folgen wir der Piste durch Hochebenen und Täler von Lagune zu Lagune. Jede davon wartet mit anderen Besonderheiten auf. So ist das Wasser der Laguna Colorada tiefrot verfärbt. Bakterien und Mineralien sorgen für den eindrucksvollen Kontrast zum blauen Himmel. Jede Menge Flamingos tummeln sich hier im nur wenige Zentimeter tiefen Wasser. Die Laguna Cañapa liegt wie ein riesiger Spiegel vor uns und liefert mit den dahinterliegenden Bergen tolle Reflexionen. Überhaupt lassen sich Abstände kaum noch einschätzen. Steht dieser Vulkan eher fünf oder doch 20 Kilometer entfernt? Die Laguna Verde verändert ihre Farbe über den Tag hinweg. Hat man Glück, kann man sie in einem leuchtenden Türkis bewundern.

 

leserreise-bolivien_01
leserreise-bolivien_02
leserreise-bolivien_05
leserreise-bolivien_06
leserreise-bolivien_07
Exit full screenEnter Full screen
previous arrow
next arrow
 
leserreise-bolivien_01
leserreise-bolivien_02
leserreise-bolivien_05
leserreise-bolivien_06
leserreise-bolivien_07
previous arrow
next arrow

 

Der knapp 6.000 Meter hohe Vulkan Lincancabur thront wie ein stummer Wächter dahinter. In seinem Krater knapp unterhalb des Gipfels verbirgt er eine kleine Lagune: Einer der höchstgelegenen Seen der Welt, zu dem selbst die NASA schon Expeditionen durchgeführt hat. Die Zeit vergeht wie im Flug. Wir können kaum genug bekommen von den Anblicken, die sich uns ständig bieten. Eigentlich nichts als Einsamkeit und Ödnis, aber mit einer unbekannten Klarheit, Kraft und Ausstrahlung, der man sich kaum entziehen kann. Jetzt brauchen wir aber einen Platz für die Nacht. Gar nicht so einfach bei der frischen Brise draußen. In den weitläufigen Tälern finden wir keinen Schutz für unser Dachzelt. Die Sonne steht schon ziemlich tief. Wir folgen einer kleinen Piste abseits der Hauptroute. Die einzige Möglichkeit, die sich uns hier bietet, ist eine Senke, die von einer Felswand begrenzt wird.

Eigentlich ideal, nur ist der Untergrund hier recht sandig. Kommen wir da wieder raus? Ich laufe die Strecke mehrfach ab, suche nach der flachsten Stelle. Zu geschätzten 80 Prozent sollte es klappen. Und wenn nicht? Das müssen wir dann entscheiden. Jetzt erst mal raus aus dem Wind und rein in die Grube. Später am Abend addiere ich zu den 80 die 13 Prozent des leckeren bolivianischen Rotweins und schlummere bei leicht flatternder Zeltplane friedlich ein. Wir haben jede Menge Erfahrung mit Motorrädern und Wüstensand. Jetzt steht aber ein zehnmal so schwerer Geländewagen vor uns. Und Dramen von hoffnungslos eingegrabenen Fahrzeugen haben wir in der Sahara schon öfter beobachten können. Hier sieht uns ja keiner! Wagen gut warmlaufen lassen, dann Untersetzung und den zweiten Gang, Vollgas. Lasses Anfeuerungsrufe tragen die Fuhre den sandigen Anstieg hinauf und letztendlich über die Kuppe und uns zurück zu den Lagunen. Ein Andenfuchs begrüßt uns bei der Laguna Honda.

 

Farben und Formen des Altiplano sind immer wieder sonderbar, Felsen und Gestein von Wind-Erosion geprägt

 

Bei Sol de Mañana haben wir mit über 4.800 Metern den höchsten Punkt unserer Tour erreicht. Vor uns liegt ein Gebiet von Geysiren und dampfenden Schlammtöpfen. In der Luft hängt ein starker Schwefelgeruch. Auf den letzten Kilometern wurde die Piste deutlich besser und einige große Laster kamen uns entgegen. Ganz in der Nähe befindet sich eine Mine, in der Borax abgebaut und anschließend ins benachbarte Chile transportiert wird. Am späten Nachmittag erreichen wir die Grenze zwischen Bolivien und Chile. Im knapp 50 Kilometer entfernten San Pedro de Atacama wollen wir unsere Vorräte auffüllen. Am kleinen Zollposten nahe der Laguna Blanca pfeift uns mal wieder ein kräftiger Wind um die Ohren. Ich mache mich daran, den letzten verbliebenen Benzinkanister in den Tank zu füllen. Ellen kommt nach kurzer Zeit zurück. Ihr Blick verheißt nichts Gutes.

Am Zollhaus hängt ein Schild: Geschlossen! Wird der Sprit reichen?

Am verschlossenen Zollhaus hängt ein kleines Schild mit dem Hinweis, dass der Posten geschlossen sei. Sollten Reisende mit ihrem Fahrzeug die Grenze nach Chile passieren wollen, so sind die dazu nötigen Formalitäten bei der Borax-Mine zu erledigen. Entfernung: 84 Kilometer. Dort waren wir heute doch schon einmal. Manchmal läuft es eben nicht so gut. Wir hatten die kleine Fußnote im Reiseführer unabhängig voneinander gelesen. Doch bei keinem hatte es die Notiz bis in die wichtigen Teile des Gehirns geschafft. Jetzt wird es eng. Die Grenze schließt in knapp drei Stunden. Das ist in etwa die Zeit, die wir für die Strecke zur Borax-Mine und zurück benötigen, die Abfertigung des Fahrzeuges nicht einberechnet. Auf der Fahrt zur Mine wird nicht viel geredet. Mein Blick wandert immer wieder zur Tanknadel. Wird schon langen. Und letztendlich tut es das auch. Die bolivianischen Zollbeamten sind freundlich. Wir sind das einzige Fahrzeug und werden direkt abgefertigt. Als die Sonne untergeht, rollen wir auf bestem Asphalt San Pedro de Atacama entgegen.  

Teilen