Warum eigentlich Autos testen?

Nach zehn Jahren – und zahlreichen unangenehmen Erfahrungen – ist es an der Zeit, eine feste Rubrik des explorer einmal zu hinterfragen. Und gegebenenfalls neu zu denken

Ein Automagazin ohne Autovorstellungen. Das klingt erst mal radikal. Verwirrend. Ungewohnt vor allem. Seit der Erstausgabe haben wir, habe ich als zuständiger Redakteur, hat Sönke, der mich meist begleitende Fotograf und Kameramann, viel Zeit in diese Artikel investiert.  Vom kleinen Puch bis zum großen Dreiachser nahmen wir alles unter die Lupe, was spannend, neu, außergewöhnlich, preiswert oder besonders premium war.  30 Heftseiten gab es hierfür zu Hochzeiten, 14 bis 16 sind es derzeit im Durchschnitt, verteilt auf die Testfahrt eines Serienmodells und die Vorstellung eines Unikates, unsere „Probefahrt“. 

Wenngleich wir streng drauf achten, eine breite Mischung an Fahrzeugen auszuwählen, können wir immer nur einen Teil der Leserschaft erreichen. Mal sind die Autos aus Lesersicht zu groß, mal zu klein, zu teuer, zu simpel, zu extrem offroadig, dann wieder zu soft. Ein Platz zwischen den Stühlen, den wir nun schon seit 2014 gut kennen. 

Auch die Tatsache, dass es im 4×4-Segment selten große Topseller gibt, keinen VW-Golf, der innerhalb der Szene große Durchschlagskraft entwickeln würde, macht es nicht einfacher. Weder bei der Auswahl der Fahrzeuge noch bei der Beschaffung des Testwagens und der Testproduktion an sich. Oft genug kommen die Fahrzeuge von kleinen Betrieben, sind schon in Kundenhand, von zehn gefahrenen Campern sind allenfalls zwei aus dem betriebseigenen Fuhrpark an Vorführfahrzeugen. 

Immer teurer, immer knapper, immer komplizierter

Ergänzen wir nun noch zwei Entwicklungen der vergangenen drei Jahre, ist das Schlachtfeld komplett: Die Kaufpreise der Fahrzeuge wachsen in immer neue Regionen (Welcher Kunde mag dann noch gern seinen Camper-Traum für eine Testfahrt hergeben?), ähnlich sieht es bei den Wartelisten der Hersteller aus. Warum also sollten sie sich dann darum bemühen, dass eine Testfahrt durchführbar ist und gelingen kann?

Das Desinteresse der Produzenten trieb in den vergangenen Monaten immer buntere Blüten. Sind Forderungen, dass „ausschließlich positiv berichtet“ werden dürfe, mittlerweile ein alter Hut, genauso wie unfertige, mangelhaft zum Test übergebene Fahrzeuge oder die weithin verbreitete Meinung, man würde sich mit dem Wagen ohnehin nur einen netten Tag machen (und Bilder sammeln, um daraus Tipps und Bauanleitungen für Selbstausbauer zu generieren), agieren Hersteller zunehmend unprofessionell und erratisch. Immer häufiger werden Terminvereinbarungen über den Haufen geworfen (drei allein im letzten Quartal), was eine vernünftige Planung unmöglich macht. Bestenfalls lassen sich damit verbundene Reisekosten noch rechtzeitig stornieren. Es kommt sogar bei Großkonzernen vor, dass monatelang im Voraus vereinbarte Termine plötzlich annulliert werden oder gar nach einer zehnstündigen Anreise der Testwagen nicht einmal auffindbar ist – und man sich mit einer kurzen E-Mail knapp vor vereinbartem Übergabetermin hinter der virtuellen Betriebspforte verschanzt. Den ungeplant nutzlosen Aufenthalt in der Provinz gibt es dann, Bahnstreik sei Dank, gratis obendrauf. Dass Hersteller ihre Testwagen einmal zur Redaktion in den Norden bringen oder wenigstens in die Nähe – eine absolute Seltenheit. 

Mag man über Aufforderungen, eine Preisvorstellung zu übermitteln, zu welchem Preis man gedenke, die Möglichkeit einer Berichterstattung zu honorieren (so geschehen im Februar 2024), noch herzhaft lachen, ist alles andere mittlerweile auch eine kalkulatorische Achterbahnfahrt. Anreise, Unterkunft, Honorar des Fotografen –  schon ein einfacher Tagestermin schlägt zügig mit einer ordentlich vierstelligen Summe zu Buche, die eigene Arbeitszeit noch nicht inkludiert. Diese Zeit muss man nicht bei Apfelstrudel und heißer Schokolade tatenlos im Bahnhofscafé verbringen – egal wie nett es dort ist. 

Gestrandet am Bahnhof, weil das Testfahrzeug nicht auffindbar ist

Ein selbst geschaufeltes Grab?

Nun gut, könnte man jetzt unken, sind die vom explorer vielleicht selber schuld? Das ewige Gemäkel und Gestänkere, das Suchen nach Nadeln im so exquisiten Heuhaufen müsste doch vielleicht auch einfach nicht sein. Es ist doch kein Wunder, wenn die Hersteller das Interesse daran verlieren, den Redakteuren nicht mit offenen Armen entgegenlaufen. 

Das ist, kurzum, absolut richtig. Wer sich Kritik von außen nicht (mehr) stellen mag (weil es sich doof anfühlt), nicht mehr stellen muss (weil das Unternehmen floriert), nicht mehr stellen will (weil es Werbung anderswo besser steuerbar umsonst gibt), der kann – und konnte – jederzeit „Nein“ zu einer explorer-Anfrage sagen. Ist auch hin und wieder so passiert. War dann schade, aber ist eben so. 

Ärgerlich ist es, wenn der Grund anderswo liegt. Nicht einmal im Dunklen, sondern eher im grauen, noch halbwegs einsehbaren Nebel. Animositäten von Herstellern untereinander etwa. Da ist man sich nicht einmal zu schade, dem explorer völlig aus der Luft gegriffene Urheberrechtsverletzungen anzukreiden, um Einfluss auf die Berichterstattung zu nehmen. Auch das Kopieren von Techniken und Ideen anderer Hersteller oder gar direkt das Abwerben von Mitarbeitern – allesamt Probleme der Hersteller mit- und untereinander –, sind regelmäßige Aufhänger für Auseinandersetzungen und Diskussionen. Shooting the Messenger.

Noch eine Erklärung, sofern nicht bekannt: Hersteller, deren Fahrzeuge im explorer vorgestellt werden, wählt immer die Redaktion aus, zahlt sämtliche Produktionskosten, für den Produzenten ist die Berichterstattung kostenfrei. Dafür hat er auch keinerlei Einfluss auf oder gar Einblick in den Artikel. Dass sich das für die Hersteller lohnt, ist kein Geheimnis. Die Reichweite des explorer ist europaweit marktführend im Segment und bei den meist mit einem Test verknüpften Videobeiträgen sogar weltweit konkurrenzlos. Macht uns zwar stolz, zündet aber herstellerseitig nicht in erkennbarem Engagement. So oder so ist es aber umso wichtiger, was Sie – unsere Leser – dazu zu sagen haben.

Und die Moral von der Geschichte?

Deshalb ist es die Frage, was wir, was Sie, was der explorer daraus für eine Lehre zieht. Braucht es im Jahr 2024 noch Fahrzeugbeurteilungen im Heft? Haben Sie, unser Leser, daraus einen Erkenntnisgewinn, wenn der Hersteller doch ohnehin nur eines, zwei oder fünf dieser Autos aufbaut? Ist für Beiträge dieser Art weiterhin der zeitliche und wirtschaftliche Aufwand gerechtfertigt, ebenso der Platz im Heft? Geben wir gar zu wenig Raum und Zeit für diesen Themenbereich aus?

Oder sollten wir unsere Zeit, unsere Energie künftig anders investieren?

Wie könnte das aussehen? Anstatt zweier Fahrzeuge pro Ausgabe nur noch eines, das dafür ausführlicher beurteilt? Ausschließlicher Fokus auf Serienfahrzeuge von der Stange – oder, ganz im Gegenteil, nur noch fokussieren auf die Manufakturen, die einzigartigen Lösungen? Es könnte Schwerpunkte übers Jahr verteilt geben (eine Van-Ausgabe, die Pickup-Ausgabe, eine Lkw-Ausgabe usw.). Wir könnten die Fahrzeugvorstellungen ganz weglassen, nur in Meldungsform auf einer Infoseite über spannende Projekte berichten. 

Es ist offensichtlich: Es gibt unendliche Möglichkeiten. Möglich, dass der Status quo für alle am attraktivsten ist, möglich auch, dass eine andere Herangehensweise viel spannender sein könnte. Nicht unmöglich: ein nachlassender Boom, der sowohl die Fahrzeugpreise verändern wird als auch die Vielfalt der Konzepte, das Bewusstsein der Hersteller – und damit auch die Bedeutung einer intensiveren Fahrzeugtest-Berichterstattung.

Wir würden gern zum Brainstorming einladen: Wer mag, kann hier in einer Umfrage seine Gedanken an uns schicken – und wir schauen einmal, was wir alle gemeinsam daraus machen. 

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