Fahrzeugportrait: Der Lkw der „Überallpenner“

Was für ein Auto kaufen, als großer T3-Fan? Für Andrea und Christopher war die Sache klar: Ein MAN 9.150 soll es sein. Dass der Kofferaufbau auch noch eine große Schiebetür bietet, machte die Sache perfekt

Portrait MAN 9.150
Mit der großen Seitentür wird der Wohnraum zur Veranda, drinnen und draußen. Lässig!

Es gibt Bierlaunen. Es gibt Champagnerlaunen. Andrea und Christopher haben auch eine Pfefferminzlikörlaune. Und deshalb leben und reisen sie nun in „Peppi”, ihrem grünen MAN. Die ebenso grüne Spirituose half dem unschlüssigen Paar, sich zum Kauf eines Autos durchzuringen, mit dem es fortan nicht mehr nur zum Wassersport an die Ostsee gehen, sondern das die Tür in die Welt aufschließen sollte. „Wir waren noch nie außerhalb Europas unterwegs, das soll sich ändern”, berichtet Andrea von den Plänen. In weniger als einer Woche solle es losgehen, nur noch schnell die Wohnung leerräumen. Mit Peppis Hilfe, klar.

 

Grün hinter den Ohren

Europa und die Welt entdecken, das steht bei vielen  hoch im Kurs, nicht nur bei den beiden Mittdreißigern. Bislang tourte das Paar regelmäßig an die nahe gelegene Ostseeküste und auf die Festivalwiesen der Region – die begeisterten Kitesurfer sind seit vielen Jahren ebenso begeisterte Bus-Fahrer. So wie viele Nordlichter.

 

Fahrzeugportrait MAN 9.150, Peppi
Knapp-Ü30-Party: Peppi wurde 1989 erstmals zugelassen, Andrea und Christopher sind nur unwesentlich älter. Den Lkw nennen sie auch „unseren Bus”, was häufiger für Verwirrung sorgt.

Fahrzeugportrait MAN 9.150, Peppi

 

Für die ausgedehnteren Touren sollte es aber zukünftig etwas Größeres, Komfortableres, vor allem aber Geländetauglicheres sein. Doch was kaufen, wenn man mit dem T3 genau jenes Fahrzeug gewohnt ist, das ein annähernd perfektes Verhältnis von Wohnraum zu Außengröße bietet? „Die logische Konsequenz war ein VW LT 4×4”, erzählt Christopher, und so wurde ein Gelände-Kastenwagen angeschafft – der erwies sich aber für die wirklich große Reise nicht als perfekter Fang.

So ging die Suche weiter, zwischen Defender und Unimog wurde jeder übliche Verdächtige ausgekundschaftet. Der eine zu klein, der andere zu groß. Je länger Andrea und Christopher suchten, desto breiter wurde das Raster, bis hin zu ausgewachsenen Lkw. Das Budget aber blieb klein, 35.000 Euro waren eigentlich kalkuliert, für ­Auto inklusive Ausbau, schließlich war klar: Das Gesparte sollte nicht nur für die Anschaffung eines Autos genügen, sondern auch für eine Auszeit – 16 Monate sollte es in Richtung Osten gehen. Und dann stand die Polizei auf dem Hof.

 

Grüne Minna

Die Suche führte das Paar 2017 auf den Hof des Berliner Nutzfahrzeughändlers Wendler, der auf Behördenfahrzeuge spezialisiert ist. Ein MAN 9.150 parkte dort seit wenigen Tagen auf dem Hof, ausgemustert von der Landespolizei Baden-­Württemberg. Sehr guter Zustand, große Maschine, dazu ein Kofferaufbau mit perfekten Proportionen. Sechs Meter lang, 2,3 Meter breit, 3,2 Meter hoch, davon 3,8 Meter Innenlänge im Koffer. Der kleinste große Lkw, den man wohl finden kann. Mit der großen Schiebetür und dem Fahrerhaus des LT wäre der MAN nach Bulli und T3 die perfekte Stufe 3. Nur eins passte eigentlich nicht: das Budget. „Ein Euro pro Kilometer Laufleistung”, erinnert sich Andrea – so würden vom Budget nur noch 10.000 Euro übrigbleiben. Am Ende gab die Likör­laune den entscheidenden Impuls.

„Pro Kilometer Laufleistung ein Euro” – die Basis war teuer, aber in Top-Zustand

Gut zwei Jahre später ist der Ex-Polizeiwagen bereit für den Einsatz. Nicht, dass das Trio nicht schon ein paar ausgedehnte Probefahrten hinter sich gebracht hat (darunter nach Island und in die Ukraine), aber nun zählt es. Nicht mehr schrauben, basteln, optimieren, sondern Einreisestempel und Erinnerungen sammeln, über ein Jahr lang. Damit es dabei nicht langweilig wird, sind die Staukisten auf dem Fahrerhausdach und die Fächer hinter den Rollläden im Heck mit Sportausrüstung vollgestopft. Kitesurf-Equipment, Klettergurte und -seile, am Ersatzradhalter hängt noch ein Snowboard. So also sehen „Sports Utility Vehicles” in Wahrheit aus. Sportlich geht es auch mit dem MAN voran. Der 6,9 Liter große Turbodiesel leistet 150 PS und hat mit dem sieben Tonnen leichten Wagen keine Sorgen.

 

Fahrzeugportrait MAN 9.150, Peppi
Die VW LT-Frontmaske kaschiert, dass unter der Haube des MAN ein vollwertiger, angenehm leichter Gelände-Lkw steckt

 

Obwohl beide keine Schrauber sind, ist die Freude über das kippbare Fahrerhaus groß. Im LT musste zuvor immer erst der Beifahrersitz weichen, bevor sich der Motordeckel öffnen ließ. Hier genügen zwei Handgriffe, und schon liegt das Aggregat frei – das Haus wird ohne Hydraulik-Unterstützung gekippt.

Optimierungsbedarf gäbe es allerdings noch bei den Reifen, ist man sich einig. Derzeit rollt der MAN auf schmalen 12,5 R20 ab, mit Schlauch und grobem Conti-MPT-81-Profil. Größere 14,5 R20 würden das Drehzahlniveau senken und noch etwas Bodenfreiheit schaffen, aber solange das Profil noch stimmt, werden die alten Pneus erst einmal aufgetragen. Vielleicht reichen sie ja bis zur Rückkehr nach Deutschland?

Ein Deichselkasten, um 90 Grad gedreht – fertig ist der günstige Heck Staukasten

Die flachen Dieseltanks mit zweimal 150 Litern und die Staukästen am Heck liegen jedenfalls bereits so weit oben, dass das Schlammbad auch etwas tiefer ausfallen kann. Schöne und günstige Ideen dabei: Als Unterfahrschutz am Tank kommen die Sandbleche zum Einsatz, die Alukisten am Heck sind keine teuren Einzelanfertigungen, sondern Wohnwagen-Massenware: Standard-­Deichselkästen, um 90 Grad gedreht montiert. Das ist fast schlauer als die Polizei erlaubt!

 

MAN Peppi
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MAN Peppi
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Alles im grünen Bereich?

Neben dem Likörchen war es vor allem Peppis Koffer, der die Kaufentscheidung positiv beeinflusste. Zwar wäre auch ein Kabinen-Neubau eine Option gewesen, doch bot der Funkkoffer schon von Haus aus perfekte Möglichkeiten und Maße.

Das Stahlskelett ist verzinkt, die Außenbleche bestehen aus Aluminium, Länge (3,82 m), Breite (2,21 m) und Innenhöhe (1,82 m) stimmen, Fenster sind auch schon montiert – und wer hat im Lkw schon eine so große Schiebetür? Einzig die nasse Mineral­wolle, als Dämmung zwischen die Stahlspanten geklemmt, musste raus und wurde mit Styrodur ersetzt. Vier Zentimeter ist die Dämmung an der dicksten Stelle stark, das genügt auch für kalte Winter. Auf der Bodenplatte blieb nur Platz für eine schmale Lage und die Schiebefenster müssen gänzlich ohne wärmedämmendes Glas auskommen – da ist es gut, dass die Dieselstandheizung bei ­Bedarf mit vier­tausend Watt ackern kann.

 

Fahrzeugportrait MAN 9.150, Peppi
Alles, was offroad nötig ist, per Druckluft verfügbar: Untersetzung, Differentialsperren

 

„Nach den Erfahrungen der ersten Reisen würde ich heute lieber eine Wasserheizung montieren”, kommt Christopher ins Grübeln. „Auch weil wir mit einem Wärmetauscher die Abwärme vom Motor hätten nutzen können. Nun wärmen wir damit nur das Brauchwasser im Boiler auf.” Für den 35-jährigen Prozess­ingenieur ist Peppi der erste DIY-Ausbau, Bulli und LT kamen reisefertig in die Familie. So ist das Projekt ständig in Bewegung, es werden Pläne gemacht und wieder umgeworfen, es wird rumprobiert und neu ­gebaut. Wirklich fertig ist der Wagen nie, es gibt immer eine Kleinigkeit zu verbessern und zu verändern.

 

Bauphase

 

Fahrzeugportrait MAN 9.150, Peppi
Die Dämmung aus Styrodur ist vier Zentimeter stark und ersetzt die originale, durchnässte Mineralwolle. Die Metallkabine war rostfrei

 

Fahrzeugportrait MAN 9.150, Peppi
Die Rollläden am Heck blieben erhalten, eine Trennwand teilt den Stauraum zum Bett hin auf der oberen Hälfte ab

 

Fahrzeugportrait MAN 9.150, Peppi
die Innenverkleidung aus dem Badezimmer-Bedarf wurde flächig auf die Dämmung geklebt

 

So kommt es, dass der Wagen viele ungewohnte und ungewöhnliche Lösungen bereithält, Materialien und Denkmuster abseits des Mainstreams liegen. Eine Nasszelle etwa, deren Wände nur aus Stoff bestehen, sieht man in einem Lkw genauso selten wie ein Kommandopult für die Elektrik, das auch einem Fischkutter entnommen sein könnte. Statt Edelholzfurnier sorgt dunkle Beize auf dem verwendeten Birken- und Pappel­sperrholz für eine markante Optik, das Stickerbombing auf einer Schranktür kennt man sonst eher aus der Autotuner-Szene. Nicht blöd: Als Wandverkleidung kamen Kunststoffelemente zum Einsatz, die ­eigentlich für Badezimmer-Renovierungen entwickelt wurden. Sie sind unempfindlich gegenüber Feuchtigkeit, leicht und gut zu verarbeiten.

Ganz klassisch dagegen ist Peppis Grundriss. Küche auf der Fahrerseite, Nasszelle im Eingangsbereich, ausziehbares Querbett, dazwischen eine einladende Sitzgruppe. Zusammen mit der Schiebetür hat sich dieses Layout schon als 100 Prozent festivaltauglich erwiesen – hier können auch größere Gruppen feiern. Dabei gibt es schnell zwei Lieblingsplätze: auf dem Sofa, dem eingeschobenen Bett (ausgezogen stattliche 1,95 Meter breit!) und auf der Sitzbank direkt neben der Schiebetür. Hier ist der kleine Laster ganz groß.

 

Grüne Welle

Wer jetzt denkt, Peppi sei ein eher preisgünstig und spartanisch zusammengestrickter Laster, täuscht sich. In Wahrheit geht es hinter der Schiebetür sogar äußerst luxuriös zu. „Wir haben einen 2,5-kw-Inverter eingebaut, um unseren Mixer betreiben zu können”, berichtet Christopher, der Leistungsaufnahme nach sollte das Gerät imstande sein, auch aus jungen Birken einen grünen Smoothie zu zaubern. Den passenden Strom stellen 200 Amperestunden (bei 24 Volt) aus Winston-­Lithium-Zellen bereit, Nachschub kommt vom Dach, dort sammeln Solarmodule mit insgesamt 600 Watt Leistung jeden verfügbaren Sonnenstrahl. Auch die 320 Liter Frischwasser sind alles andere als knapp bemessen. Eine gewisse Reichweitenangst scheint bei Peppis Besitzern nicht zu leugnen zu sein, überall, wo man am Fahrzeug hinschaut – ein Spritkanister ist schon dort. Egal ob im Rahmen unter der Kabine oder in der Felge des ­Ersatzrades.

 

MAN Peppi
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MAN Peppi
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Hier zum Panoramabild vom Cockpit.

 

Und es blieb Zeit für Spielereien: Die Front des MAN erhielt das alte VW-Gesicht zurück, auch deshalb wirkt der FAE so ungewohnt wie ein aufgepumpter LT. Die sehr weit oben liegenden Scheinwerfer dienen jetzt als Umfeldbeleuchtung, Fern- und Abblendlicht blieben in der Stoßstange. Auch solche Kleinbaustellen schlucken Geld und so haben die zwei ihr selbst gestecktes Budget ganz knapp um wenige tausend Euro gerissen, 35.000 Euro hätten es maximal werden sollen. Für ein vollständig ausgerüstetes Fahrzeug, das trotz eines Alters von 30 Jahren gerade einmal eingefahren ist, keine schlechte Bilanz: Viel mehr Auto fürs Geld ist kaum möglich.

 

Grüner wird’s nicht

Die große Auszeit kann – konnte – also mit einer ausreichend gefüllten Reisekasse starten. Kitesurfen in Norwegen, Klettern im Iran, endlich mal länger unterwegs sein als sechs Wochen am Stück. Nur das mit dem Verlassen von Europa, das hat bislang nicht klappen wollen: Über geschlossene Grenzen kommt man auch mit einem alten Polizeiwagen nicht so leicht. So entdecken Andrea, Christopher und Peppi derzeit in Ruhe den Norden Skandinaviens. Und wenn die Laune vor geschlossenen Schlagbäumen doch mal sinkt, hilft vielleicht ein Schluck Pfefferminzlikör.

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