ON TOUR. OFF ROAD: REISEN. AUTOS. TECHNIK.

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4×4-Camping – eine Insel der Glückseligkeit? Kommentar & Leserumfrage

Abenteuer & Allrad 2012

Seit 2010 besuche ich die Messe nun in jedem Jahr, ich kenne die Stammplätze der Dauergäste genauso, wie die Ecken auf dem Messegelände, wo der Mobilfunk-Empfang am Donnerstag mittag nicht vollständig zusammenbricht. Bad Kissingen, so kann man wohl sagen, gehört zu meinem Kalender fest dazu. 

Bei meinem ersten Besuch war ich 29 Jahre alt. Hatte mir ein Jahr zuvor einen 7 Jahre alten Sprinter 4×4 gekauft (15.000) und eine Leerkabine bauen lassen (11.000 Euro) Jetzt also wollte ich schauen, was die Globetrotter-Allradwelt so zu bieten hat. Die Menschen kamen mir schwer bepackt entgegen, schleppten Messeschnäppchen aller Art zurück ins Camp, von dem es damals nur ein einziges gab. Auch ich fand mich im Angebot wieder, schaute mir zwischen Lampen, Sandboards und Stoßdämpfern das eine oder andere aus – und bestaunte natürlich die ausgestellten Fahrzeuge. 

Auch heute, 15 Jahre später, sind junge Menschen auf der Messe, die staunen. Nur, leider, nicht mehr über das vielfältige Angebot und den einen oder anderen Ausstellungs-Diamanten, sondern über die Tatsache, wie man sich all’ das ausgestellte überhaupt leisten kann. Vier Tage schaute ich jungen Paaren, Freunden oder Familien zu, wie sie über das Areal schlenderten und am Ende des Tages nicht vollbepackt mit Ideen und Kleinkram zurück ins Camp schlenderten, von denen es heuer bereits vier gibt. 

„Für uns ist hier nichts dabei, wir schauen nur“, berichten die einen, während der andere beim Blick auf einen polierten Land Cruiser nur still zu seiner Freundin raunt „das werden wir uns nie leisten können!“ Ein Gefühl, dem ich nur zustimmen kann: die auf der Messe ausgestellten Dinge, die für mich als Privatperson spannend waren UND sich mit dem Wasserstand in der Geldbörse vereinbaren ließen, kann ich an einer Hand abzählen. In das Bild passt, dass sich schon im Vorfeld der Messe viele lautstark in den sozialen Medien dazu bekannten, die Abenteuer & Allrad fortan zu meiden. Zu teuer. 500 Euro lässt man als Paar mit Leichtigkeit für ein langes Wochenende zurück, das ist für viele bereits das Spritgeld für die nächste Tour. Soweit so klar also, nach der Messe würden die Aussteller also das große Jammern anfangen. Doch weit gefehlt.

„Warum sollten wir versuchen, ein günstiges Produkt anzubieten, wenn die Kunden ohnehin jede verfügbare Option bestellen wollen?“ fragen mich auf Rückfrage die Aussteller. Ein Ford Transit-Van für 130.00 Euro? Da kann man ja auch gleich das große Allradpaket dazuordern, dann kostet er eben 160.000 Euro. Attraktive Vorführ- und Gebrauchtwagen sind noch vor Sonntag Abend an Spontankäufer verkauft, egal, ob sie 80.000 oder 280.000 Euro kosten. Egal wo man hinschaut, die Preise kennen nur eine Richtung: steil nach oben. Dachzelte für 6.000 Euro, Anhänger für 60.000, Lkw für 600.000. Und dennoch ist das Echo der Aussteller am Sonntag fast einhellig: gute Besucher, gutes Gefühl. 

Und ich frage mich: wie passt das noch zusammen? 

Abenteuer & Allrad 2014 : 1 ausgestellter Dreiachser. 2025: 18 ausgestellte Dreiachser

 

Überschlägt man die Menge der Busse, die unermüdlich Gäste an den Messeingang bringen, sind in diesem Jahr an vier Messetagen etwa 25.000 Menschen über das Areal gepilgert – 2018 vermeldete der Veranstalter offiziell noch 56.500 Gäste. Es kommen also deutlich weniger Besucher, mit deutlich dicker gefüllten Brieftaschen. Dort, wo ich 2012 im Camp noch neben Pickups aufgeschlagene Igluzelte fotografierte (Bild oben), stehen heute Lkw dicht an dicht. Die vielgerühmte Schere der Gesellschaft, da ist sie. Dass die Camps immer weiter wachsen, muss dabei kein Widerspruch sein: nicht nur, dass vermehrt große Fahrzeuge mit höherem Platzbedarf kommen, hat sich das Leben im Tal schon längst vom Messetreiben auf dem Berg abgekoppelt. Viele verbringen fast eine Woche entlang der Saale und setzen nicht einen Fuß auf das Messegelände. Perspektivisch bedeutet das: immer weniger Masse, immer mehr Klasse. Und wenn der Produktpreis nur hoch genug ist, genügen für zufriedene Gesichter bei 350 Ausstellern eines Tages auch nur noch 350 Besucher – sofern jeder etwas entsprechendes kauft. 

Endgültig bizarr wird die derzeitige Situation, wirft man auch noch einen Blick auf die konventionelle Reisemobil-Industrie. Dort vergeht derzeit kaum eine Woche, an der nicht ein Händler oder Zulieferer die Flügel streckt, Hersteller schicken Mitarbeiter in Kurzarbeit, stornieren Messepräsenzen, werfen mit Rabatten um sich um die Lager leer zu bekommen. Und stürzen sich zeitgleich wie besessen auf die Abenteuer- und „Expeditions“-Zielgruppe, um ihnen (unnötig) hochpreisige Fahrzeuge anzudrehen. Als ob die 4×4-Welt schlicht eine Insel der Glückseligen ist, mit Fabelumsätzen und Produktpreisen, die jedem konventionellen Wohnmobilhändler die Tränen in die Augen treibt. Aktuelles Sinnbild dafür ist sicherlich der Newcomer RB Expedition. Als Reimers Reisemobile im Caravaning-Segment bekannt,  zeigte das Unternehmen in Bad Kissingen allen Ernstes einen halbfertig ausgebauten Dreiachs-MAN und rief stolze 1,75 Millionen Euro auf – ohne jegliche Expertise oder Referenzen in diesem Segment.  

Die breite Realität kann all’ das nicht sein – sonst wäre es nicht Kündigungsgrund Nummer 2 beim explorer (nach der ersehnten langen Reise), dass im Magazin zu viel über hochpreisiges berichtet wird. Diese Extreme lassen mich derzeit ratlos zurück – und deshalb gibt es wohl kaum einen besseren Zeitpunkt, unser Wissen über Sie, unseren Leser, aufzufrischen. Alle 24 Monate laden wir deshalb zu unserer Leserumfrage ein, was an dieser Stelle geschehen sei: Nehmen Sie sich die Zeit, uns etwas über sich zu verraten, damit wir besser wissen, wohin wir steuern müssen.

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Abenteuer & Allrad 2014: Mehr Fahrzeug-Vielfalt, weniger Perfektion

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