Reisen in Habachtstellung – queeres Reisen

Liebe ist Liebe, aber Reisen ist nicht gleich Reisen: LGBTQ+ werden in vielen Ländern diskriminiert, teilweise sogar verfolgt und bestraft. Vor einer Reise in solche Länder müssen queere Overlander*innen sich in puncto Sicherheit Fragen stellen und Abwägungen treffen, über die sich hetero-normative Reisende meist keine oder wenig Gedanken machen. Der explorer hat sich in der Community umgehört

queeres reisen

Diesen Winter erfüllt Christian Ansorge sich einen lang gehegten Traum. Er fährt mit seinem Isuzu-Dmax-Pickup nach Marokko. Was für viele Reisende nicht sonderlich bemerkenswert wäre, gilt Marokko doch als vergleichsweise sichereres Reiseland und touristisch gut erschlossen, erfordert von Christian Ansorge eine Menge Mut. Denn er ist schwul, und homosexuelle Handlungen stehen in Marokko unter Strafe.

 


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Vor allem Mexiko City ist für seine große Gay-Community bekannt. Aber auch der Karneval von Veracruz zieht sehr viele queere Menschen an

MEXIKO gehört zu den wenigen Ländern mit dem höchsten Schutz vor Diskriminierung aufgrund der sexuellen ­Orientierung, der sogar in der Verfassung festgehalten ist. Laut ILGA teilt es sich diesen Status nur mit einer Handvoll weiterer Länder weltweit. In den ländlichen Regionen sind Vorbehalte gegen LGBTQ+ eher verbreitet als in den großen Städten.


 

Das nordafrikanische Land rangiert hinsichtlich seiner Sicherheit für LGBTQ+-Reisende, also lesbische, schwule, bisexuelle, transgender, queere und alle anderen sexuellen Identitäten jenseits der Hetero-Norm, beim jährlich erscheinenden Gay Travel Index auf Platz 176 von 202. Ein Umstand, der bei Christian Ansorge mehr als nur ein ungutes Gefühl auslöst. „Wir sprechen schließlich nicht von einer kulturellen Eigenart, sondern von Diskriminierung mit schwerwiegenden Folgen“, sagt er. Dementsprechend reist er nicht allein, sondern mit einer Gruppe anderer queerer Männer. „Da fühle ich mich wohler und auch sicherer“, bekennt der 48-Jährige, der bisher kaum außerhalb Europas unterwegs war.

Fern- und Langzeitreisen in mitunter auch wenig touristische Länder, über die auch der explorer gern berichtet, sind für queere Menschen häufig mit einem erhöhten Risiko verbunden. Schon lange vor der Abreise, erzählt Christian Ansorge, werden in der Gruppe Fragen diskutiert wie: Wie können und dürfen wir uns verhalten? Was müssen wir unbedingt beachten? Welcher Maßstab wird angelegt? Alle Teilnehmenden wollen vor der Fahrt Aufkleber oder sonstige Merkmale, die sie als queer identifizieren könnten, entfernen. Fragen also, die sich hetero-normative Reisende selten stellen müssen, zumindest in Bezug auf die eigene Sexualität. Die sexuelle Orientierung als Reisehindernis? Laut Christian Ansorge Realität.

 


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Christian Ansorge reist mit seinem Isuzu-Dmax-Pickup mit Absetzkabine diesen Winter zum ersten Mal außerhalb von Europa – nach Marokko. In einer queeren Reisegruppe fühle er sich sicherer, sagt er. Der Kölner hat vor ein paar Jahren gemeinsam mit Freunden das „Queer Summer Camp“ ins Leben gerufen. Auf dem Overlander*innen-Treffen geht es vor allem darum, sich gegenseitig zu unterstützen, auszutauschen und zu ermutigen. Christian Ansorge schätzt es besonders, dass die „antrainierte, unterbewusste Zurückhaltung aus dem Alltag“ in solchen ­geschützten Räumen nicht nötig ist.

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Die Veranstaltung Queer Summer Camp steht nicht ausschließlich queeren Reisenden offen. Als queer allies bezeichnet Christian die Teilnehmenden aus dem Freundeskreis, die selbst nicht zum queeren Spektrum zählen, sich in der Szene jedoch trotzdem sehr wohlfühlen. Infos: queer-summer-camp.de


 

Viele Queers schließen Reisen in islamisch geprägte Länder von vornherein aus, da deren Gesellschaften sowie die staatlichen Rahmenbedingungen als besonders homophob gelten. Tatsächlich sind die letzten Plätze auf dem Gay Travel Index allesamt von islamisch geprägten Staaten belegt: Saudi-Arabien, Somalia, Tschetschenien und der Iran bilden die Schlusslichter, Spitzenreiter ist übrigens Kanada, gefolgt von Malta und Portugal. Deutschland liegt derzeit auf Platz elf. Dass der Islam als Religion per se nicht homophob ist, erklärte zwar kürzlich eine Konferenz am Frankfurter Forschungszentrum Globaler Islam. Vielmehr spricht in diesen Staaten die konservative Auslegung des Korans in Kombination mit patriarchalischen Strukturen häufig eine deutliche Sprache: Die 1990 von 57 Staaten unterzeichnete Kairoer Erklärung der Menschenrechte im Islam diskriminiert u. a. Homosexualität, indem sie sie unter Scharia-Vorbehalt stellt. In 22 islamisch geprägten Ländern sind Homosexualität oder homo­sexuelle Handlungen derzeit verboten, in zehn werden sie sogar mit dem Tod bestraft. Der Iran hat seit 1979 rund 4.000 Todesurteile gegen Homosexuelle vollstreckt.

Wo fundamentaler Glaube – egal welcher Ausrichtung – und Homosexualität aufeinandertreffen, wird es jedoch generell oft problematisch. Um das zu erleben, muss man gar nicht besonders weit fahren. Im streng katholischen Süden und Südosten Polens (im Gay-Travel-Ranking übrigens auf Platz 126) riefen sich ab 2019 im Zusammenhang mit einer staatlich und kirchlich unterstützten Hasskampagne gegen LGBTQs rund 100 Städte und Dörfer zu „LGBTQ+-freien Zonen“ aus, unter ihnen auch die Region Krakau. Erst auf Druck internationaler Organisationen, der Zivilgesellschaft und der Europäischen Union hoben die meisten diesen Status wieder auf.

 

 

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Birgit Völkel und Stefanie Ruth Heyduck haben schon vor Jahren ihre Liebe zum afrikanischen Kontinent entdeckt. Als lesbisches Paar ist ein risikofreies Reisen dort zwar nicht in allen Ländern möglich, aber die beiden lassen sich selten von ihren Reiseplänen abbringen. Mittlerweile verbringen sie sogar mehrere Monate jedes Jahr in ihrer Wahlheimat Tansania, in der Nähe des Arusha-Nationalparks – in einem Land, in dem auf Homosexualität hohe Haftstrafen stehen. Wie die meisten queeren Overlander*innen, mit denen der explorer gesprochen hat, haben sie auf ihren Reisen bisher jedoch keine schlechten Erfahrungen bezüglich Diskriminierung oder Übergriffen machen müssen.

 

Doch nicht alle queeren Overlander*innen lassen sich durch staatliche oder gesellschaftliche Repressionen vom Reisen abhalten. Viele von denjenigen, mit denen der explorer gesprochen hat, schließen jedoch Reisen in Länder aus, in denen die Todesstrafe auf Homosexualität steht. Nicht so Stefanie Ruth Heyduck und Birgit Völkel. Die beiden Münchnerinnen zieht es immer wieder nach Afrika, vor allem Süd- und Ostafrika haben sie mit ihrem Defender in den letzten Jahren ausführlich bereist. Beim Zoom-Interview sitzen sie gerade vor ihrem Haus in Tansania, mit Blick auf den Mt. Meru und am Tor zum Arusha-Nationalpark. „Wir haben irgendwann beschlossen, gesellschaftliche oder politische Rahmenbedingungen nicht mehr als Kriterien für unsere Reisen anzulegen“, sagt Stefanie Ruth Heyduck. Obwohl in Tansania hohe Haftstrafen auf homosexuelle Handlungen stehen, verbringen sie immer wieder mehrere Monate am Stück in ihrer Wahlheimat. „Wir werden oft für Schwestern gehalten“, erzählt Birgit Völkel lachend. Für die beiden kein Problem, da sie unterwegs ohnehin nicht „out and proud“ leben, wie Stefanie Ruth Heyduck hinzufügt. Mit dieser Strategie haben sie auch Länder wie Uganda oder den Sudan, in dem die Todesstrafe auf Homosexualität steht, bereist. „Es gibt einfach Länder, die wir sehen wollen, wo wir das Risiko in Kauf nehmen“, sagt Birgit Völkel, fügt aber hinzu: „Ganz kalt lässt es einen natürlich nicht.“

Schlechte Erfahrungen haben die beiden jedoch nie gemacht. „Weiße sind hier generell ein bisschen unantastbar, Frauen sowieso. Da können wir gut unterm Radar fliegen“, berichten sie. Damit deckt sich ihre Einschätzung mit den Erfahrungen vieler anderer queerer Reisender. Auch Marcus Hofschulz und Christof Schoppa, die als Fotografen jahrelang in ihrem Allrad-Sprinter reisten, können nichts Negatives berichten. „Angefeindet wurden wir nie, nirgends“, erzählen die beiden. Ein vierwöchiger Marokko-Trip sei problemlos möglich gewesen. Auch dem Lesben- und Schwulenverband Deutschland (LSVD) sind aus den letzten Jahren keine Übergriffe auf queere Reisende bekannt. Allerdings erheben die wenigsten Länder Daten zur Hasskriminalität, und wenn sie es tun, dann nicht detailliert aufgeschlüsselt nach Einheimischen und Tourist*innen.

„Es gibt ja auch in Marokko Homosexualität“, sagt Marcus Hofschulz, „aber eben hinter verschlossenen Türen.“ Tatsächlich sind in Marokko homosexuelle Handlungen strafbar, werden gemeinhin aber hauptsächlich dann geahndet, wenn sie in der Öffentlichkeit stattfinden. Ähnlich verhält es sich in Tunesien, wo Homosexualität ebenfalls nach wie vor strafbar ist – ein Überbleibsel der französischen Kolonialmacht. Gegenüber Tourist*innen sind zwar keine Übergriffe oder Fälle von Diskriminierung bekannt, aber Tunesiens größte LGBTQ-Organisation, Shams, registriert eine zunehmende Verfolgung einheimischer Homosexueller, in erster Linie Männer. Anderen schwulen oder lesbischen Marokko-Reisenden geben Marcus Holfschulz und Christof Schoppa dennoch den Tipp, sich nicht offen zu outen und generell vorsichtig zu sein. Damit berühren sie einen Grundkonflikt, dem sich nicht nur, aber vor allem queere Reisende stellen müssen: Wie weit bin ich bereit, mich zu verstellen oder anzupassen, um ein Land zu besuchen?

Für Sabine Proffen, die mit ihrer Frau im Expeditions-Lkw viele europäische Länder bereiste, ist die Antwort eindeutig: „Wenn ich unbedingt in ein Land reisen möchte, würde ich mich anpassen, natürlich. Ob ich das richtig finde, steht auf einem anderen Blatt.“ Diese Frage und ihre Antwort darauf sind selbstverständlich höchst individuell. Während Sabine Proffen es bedauert, dass die Menschen, die sie unterwegs trifft, sie „gar nicht richtig als Person kennenlernen“, sehen Birgit Völkel und Stefanie Ruth Heyduck darin kein Problem: „Wir sind mehr als nur unsere Sexualität.“

 

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Die International Lesbian-, Gay-, Bisexual-, Trans- und Intersex-Vereinigung (ILGA) gibt jährlich einen Atlas heraus, aus dem die Rechte von LGBTQ+ weltweit hervorgehen

 

Die Welt wird sichtbar kleiner für queere Reisende, schaut man auf diese Karte

Christian Ansorge dagegen stören solche Einschränkungen seiner Persönlichkeit sehr, er sagt: „Für uns existiert völlige Freiheit nicht. Wir haben nie den Luxus zu wählen, sondern immer die Notwendigkeit, unser Verhalten anpassen zu müssen.“ Dabei gehöre er, wie er selbst zugibt, als weißer, mitteleuropäischer Mann dennoch zu einer privilegierten Gruppe unter den Reisenden. Für Transmenschen undnon-binäre Personen, die sich keinem Geschlecht zuordnen, kann es durchaus eine unüberwindliche Hürde sein, sich anzupassen. Was, wenn auf dem Visum nur weiblich oder männlich als Geschlecht einzutragen ist? Wenn aufgrund dessen die Einreise verweigert oder der Reisepass nicht anerkannt wird? Die meisten Scanner an Flughäfen beispielsweise arbeiten mit binären Systemen. Wenn jemand sich als non-binär definiert, kann das zu Problemen oder Herabwürdigungen führen. Zwar gibt es Staaten und Gesellschaften, in denen Transgender weniger diskriminiert und verfolgt werden als Homosexuelle, dennoch haben diese häufig weniger Möglichkeit, „unter dem Radar zu fliegen“.

Was viele queere Reisende gemeinsam haben, ist die Sorge vor dem Rechtsruck in einigen europäischen (Nachbar-)Ländern und dem damit verbundene Rückfall in konservative Wertvorstellungen. Nach Ungarn und Polen befürchten sie nun auch in Schweden oder Italien eine zunehmende Queerfeindlichkeit. Erst im Oktober kündigte beispielsweise der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan an, Schritte gegen die LGBTQ+-Community in seinem Land ergreifen zu wollen. Da LGBTQ+ die „traditionelle Familienstruktur“ degenerierten, müsse Letztere wieder gestärkt werden, ließ er verlautbaren. Inwiefern Tourist*innen davon betroffen sein werden, steht auf einem anderen Blatt. Ein gutes Gefühl macht es trotzdem nicht, oder wie Christian Ansorge es ausdrückt: „Die Bedenken fahren immer mit.“

 

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Marcus Hofschulz und Christof Schoppa sind aufgrund ihres Berufes als Fotografen häufig und viel mit ihrem Allrad-Sprinter unterwegs. Dennoch gibt es manche Länder, wie den Iran oder
Afghanistan, die die beiden nicht bereisen würden.

 

Und wie sieht es innerhalb der Overlanding- und Offroad-Szene aus? Christian Ansorge fühlt sich „eigentlich ganz wohl in der Szene“. Trotzdem hat der Kölner vor zwei Jahren das Queer Summer Camp sowie eine queere Facebook-Gruppe für den Austausch innerhalb der LGBTQ+-Reisenden ins Leben gerufen. „Ein spezifisch queeres Treffen ist befreiter, weil die Rahmenbedingungen klar sind und Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung ausgeschlossen ist“, berichtet er. Die Stimmung bei diesen Treffen und innerhalb der queeren Gruppen empfindet er als wertschätzend, hilfsbereit und gelassen. „Es geht mehr darum, sich gegenseitig zu unterstützen, als darum, wer das tollste Fahrzeug hat. Die Kommentare in anderen Gruppen sind dagegen oft unterirdisch“, findet er. Zu diesem Schluss sind bereits einige Reisende und Overlander*innen gelangt, die sich nicht dezidiert der queeren Szene zuordnen, die die Atmosphäre und den Umgang auf solchen Treffen jedoch sehr zu schätzen wissen. Diese queer allies, wie Christian Ansorge sie nennt, suchen in der Gay Travel Community vor allem den Austausch und schätzen das respektvolle Miteinander.

Die Beantwortung der Frage, ob solche geschützten Räume online wie offline nötig sind, ist ebenfalls eine höchst individuelle. Birgit Völkel und Stefanie Ruth Heyduck jedenfalls wünschen sich mehr Vermischung in der Overlanding-Szene. „Es wäre doch schön, wenn queere Gruppen auch auf großen Overlander-Treffen als solche sichtbar wären“, schlägt Birgit Völkel vor. Dann könne man sich miteinander austauschen und von den jeweiligen Erfahrungen profitieren.

Berichterstattung explorer

Der explorer hat in seiner Berichterstattung zu den vorgestellten Reiseländern und -regionen seine Reiseinfos um die Kategorie „queeres Reisen“ erweitert. Bei den zugrunde liegenden Informationen stützen wir uns zum einen auf die Empfehlungen des Auswärtigen ­Amtes, zum anderen aber auch auf den Gay Travel Index sowie den Atlas Sexual Orientation Laws der International Lesbian, Gay, Bisexual, Trans and Intersex Association (ILGA).

 


Südafrika

 

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Unter den afrikanischen Ländern gilt Südafrika als besonders sicheres Reiseland für LGBTQ-Reisende. Das Land ist den meisten anderen afrikanischen (und auch sonstigen) Staaten in puncto Toleranz und Gleichstellung meilenweit voraus: Bereits 2006 wurde die Homo-Ehe anerkannt, schon vier Jahre zuvor durften gleichgeschlechtliche Paare gemeinsam Kinder adoptieren. In nur 22 afrikanischen Staaten ist Homosexualität legal, Südafrika ist das einzige Land auf dem afrikanischen Kontinent, das die Rechte von Homosexuellen in der Verfassung schützt. Damit sind diese Rechte immerhin einklagbar, vor Hassverbrechen und Diskriminierung, vor allem außerhalb großer Städte, schützt das jedoch auch nur bedingt. Trotzdem ist das liberale Südafrika häufig Anlaufstelle für Verfolgte aus anderen afrikanischen Staaten.

 

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