Leser unterwegs in Spanien – Küstenspringen

Sylvia und Detlef berichten von der Schönheit Spaniens, im Herbst auch ohne Touristenmassen.
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Wunderschöne Buchten gibt es an der Küste viele – doch das Campieren ist dort meist verboten. Hier hilft es, sich mit den Anwohnern gut zu stellen viele – doch das Campieren ist dort meist verboten. Hier hilft es, sich mit den Anwohnern gut zu stellen

Sylvia & Detlef Bauer

Sylvia und Detlef Bauer sind seit jeher Autoreisende: Erst mit der Ente unterwegs, dann im Kombi, reisten sie später im Renault Espace. Zwei Bullis mit Aufstelldach und einen Kastenwagen mit Pösslaufbau später, erfüllten sie sich dann ihren Traum vom Pickup mit Wohnkabine.

Spanien

Alter: 59 & 63 Jahre
Wohnort: Westerwald
Reiseregion: Spanien
Reisedauer: 2 Wochen
Reisestrecke: 5.000 Kilometer

 

Ford Ranger Extracab

Spanien

Baujahr: 2018
Motor: 160 PS
Verbrauch: 13 l/100 km mit Kabine
Aufbau: Tischer Absetzkabine
Schlafplätze: 2
Zul. Gesamtgewicht: 3.270 kg

 

Die Costa Cálida ist in der Nachsaison immer eine gute Wahl. Im November verwöhnt die Region Murcia den Autoreisenden nicht nur mit ihrer immergrünen Hartlaubvegetation. Neben Johannisbrotbäumen, Stein­eichen, Oliven und Dattelpalmen ist es vor allem die noch ausreichende Badetemperatur von Luft und Wasser, die uns anzieht wie ein Magnet. Unzählige Male hat es uns im Herbst hierher getrieben, und das hat, neben der Temperatur, seinen Grund auch in der unverfälschten Schönheit dieser Region. Keine Betonsilos mehr, und die wenigen Appartementsiedlungen ducken sich dezent zwischen die Küstenberge. Nach den irreversiblen Bausünden der nördlich gelegenen Costas zeigt sich ab Puerto de Mazarrón ein Farbenspiel zwischen Lehmbraun, Ozeanaquamarin und Azurblau. Zahlreiche in den letzten Jahrzehnten eingerichtete Naturparks sollen dafür sorgen, dass dies auch so bleibt. Könnte klappen, denn das zu schützende Gebiet ist sehr überschaubar: 120 Kilometer weiter südlich, bei Almería, ist es mit der Naturbelassenheit wieder vorbei. Wo drei Jahresernten unter plastikversiegeltem Ackerland erzwungen werden, hat Naturschutz keine Chance.

„Unzählige Male hat uns die unverfälschte Schönheit hierher gelockt“

 

Der Traum von Freiheit

Verlässt man die A7 und hangelt sich entlang der Stranddörfer Richtung Süden, wird man Hunderte von Buchten und Stränden passieren. Ein absoluter Traum. Eigentlich. Denn was in den Achtzigerjahren Späthippies und Aussteiger mit ihren Bullis hierher trieb, ist passé. Die Reiseform mit dem Bus ging und geht immer noch viral und führte letztlich zum Platzen aller Träume von der Freiheit direkt am Strand. Das eigentliche Dilemma aber ist: Legale Bezahlalternativen in Form von schönen Campingplätzen in Meeresnähe gibt es nicht. Kleine, familiengeführte Camps, naturbewachsen, unparzelliert, in fußläufiger Nähe zum Strand, ein paar Tische unterm Palmendach zum Sundownern – Fehlanzeige.

 

Spanien
Im Herbst hat man die Strände Spaniens teilweise für sich allein

 

Wie kreativ der Reisende in solchem Fall wird, bleibt der jeweiligen Risiko­bereitschaft überlassen. Will man den Traum vom abendlichen Grillengezirpe mit dem eiskalten Bier in der Hand und dem Blick zur Abendsonne am Horizont nicht den Umständen opfern, muss man sich arrangieren – mit den Anglern und Tauchern des nahen Dorfes, den Nationalparkrangern, der regionalen Polizei. Dafür gibt es kein Geheimrezept. Sondern nur das untrügliche Gespür für Situation, Zeit und Ort, wo man das Ungeheuerliche wagt: das Übernachtungsverbot so zu dehnen und aufzuweichen, dass der Offizielle ein Auge zudrückt. Manchmal nur für eine Nacht, selten länger als für ein Wochenende.
Etwa 100 Kilometer Luftlinie, die sich Costa Cálida und Costa de Almería teilen, sind es bis zur Landspitze am Cabo de Gata. Die Landschaft nördlich des Leuchtturms hoch oben am Achatkap ist als Biosphärenreservat besonders geschützt und entsprechend reglementiert. Wer es groß, weit und bombastisch mag, wird an den roten Stränden Mónsul und Genoveses seinen Spaß haben. Aber den muss er sich mit Tausenden von Gleichgesinnten teilen. Im Sommer staut sich auf den geschobenen Parkflächen eine Blech­lawine gigantischen Ausmaßes, aber selbst in der Nachsaison gibt es keine Ruhe. Wer hier eine Ecke zur freien Übernachtung findet und bis zum Morgen übersteht, hat den Sechser im Lotto. Also unwahrscheinlich.
Nicht unser Ding, und so lassen wir es kleiner und beschaulicher angehen. In Las Negras nutzen wir den Campingplatz als Basis, die wir tagsüber für unsere Touren verlassen. Die Küsten­berge sind in beide Richtungen per Wanderpfad zu erkunden. Nördlich gibt es die Hippiebucht Cala San Pedro, sie ist zu Fuß oder mit dem Boot erreichbar. Das Karibikfeeling ist dor vorprogrammiert, es dominiert ein sehr relaxtes und bunt gemischtes Völkchen. Südlich ist der Strand aller Strände, der Calilla del Playazo. Er ist mit dem Auto anfahrbar und liegt weitläufig groß am Ende eines palmenbestandenen Tals. Ein Hauch von Afrika weht an manchen Abenden hindurch, und wer anfällig ist für Sehnsüchte dieser Art, ist hier genau richtig.

Spanien

Spanien
Warum nach Spanien reisen, wenn das Land im Sommer aus allen Nähten platzt? Im Herbst ist ein Besuch mindestens genauso schön. Am Südhang der Picos de Europa (u.)

 

Einsamkeit im Herbst

Eine Küstenregion der gegensätzlichen Art liegt 1.000 Kilometer weiter nordwestlich. Ribadesella am kantabrischen Meer ist unser nächstes Ziel, weil die Wetter-App für die Region Murcia ein Regentief ankündigt, für Kantabriens Küste aber fünf Tage am Stück sonnige 20 Grad. Ein seltener meteorologischer Umstand, den wir uns jetzt zunutze machen. In die Meseta hinauf geht es über Madrid bis zum Fuß der Picos de Europa, wo wir unter einer sieben Grad kalten Nebeldecke auf einer gespenstisch erleuchteten Tankstelle übernachten.
Vormittags geht es dann langsam ansteigend hinauf in die Höhen der Picos, mit greller Sonne im Rücken und schneebedeckten Gipfeln voraus. An Flussauen und Steinbrücken entlang, die sich allmählich durch die Nebel­fetzen schieben, und kobaltblauem Himmel, der sich über die Dörfer spannt. Und Stille.

Zu dieser Jahreszeit ist kaum ein Auto unterwegs auf den buckeligen Sträßchen, die sich bis Caín de Valdeón am südlichen Taleingang des Río Cares in die Höhe schrauben. Nur zu Fuß geht es ab dort nach Asturien hinein, wo der Cares mit seiner tiefen Furche die umliegenden 2.600er des Nationalparks der Picos messerscharf in zwei Hälften teilt. Ein einfacher Neun-Kilometer-Marsch durch die Gigantomanie der Kalksteingipfel wäre es, wenn unser Zeitplan es erlaubt hätte.
Tat er aber nicht, und so bleiben uns nur die Picos light. Dafür umfahren wir die Gipfel Europas westwärts mit Ziel Las Arenas, von wo aus die befahrbare Straße am Nordausgang des Cares bei Poncebos endet. Der Kurs führt zunächst hinunter ins enge Tal der Sella, um am Talgrund im ewigen Schatten den Kurven durch den „Desfiladero de los Beyos“ zu folgen. Steil aufragende Felswände bieten ein grandioses Fahr­erlebnis und herbstlich golden leuchtet der Mischwald, wenn sich das Tal weitet. Autofahrers Traum in Reinkultur.

„Zu dieser Jahreszeit ist kaum ein Auto auf den buckeligen Straßen unterwegs“

 

Eine andere Welt: die Nordküste

Bei Ribadesella stoßen wir abends an die Küste, und alles ist plötzlich so grün wie in Irland. España Verde eben. Denn das Mar Cantábrico ist von rauer Sorte. Selbst im Sommer ziehen tiefhängende Wolken oft von der Biscaya heran und regnen an der Nordküste ab. Sturmumtoste Kaps und weit ins Land schneidende Rías zerfurchen die Landschaft. In der dunklen Jahreszeit, wenn die Sonne zu keiner Tagesstunde um die Ecke lugt, tropft und plätschert es überall. Die feuchte Luft atmet Tang und Salz mit jedem Wellenschlag und weht diese herbe Brise über den Kreide­kalk der Cordillera, wo sie ­Moose und Flechten zum grünen Teppich wachsen lässt. Im kantabrischen Küstengebirge kann man sich leicht orientieren: Grün ist immer Norden.

 

Spanien
Magisch: die kleine Kirche Ermita de San Juan de Gaztelugatxe an der Baskischen Küste

 

Wir suchen uns eine der wie auf eine Perlenschnur gezogenen Buchten zur Übernachtung. La Vega, Cuevas del Mar, Ballota … jeder findet hier seine Traumbucht, wo es immer eine freie Stellmöglichkeit für eine oder zwei Nächte gibt. Parallel zur Steilküste, hoch oben am Kliff, verläuft die kostenlose Autovia, unten am Meer verbindet der „Camino de la Costa“ die Dörfer. Die gelbe Jakobsmuschel begleitet uns auf dem Pilgerpfad. Am Playa Ballota stellen wir das Auto so, dass der Fensterblick zum heranbrandenden Ozean zeigt, als die unsichtbare Sonne von links hinten mit ihrer Untergangsfarbe den rötlichen Fels glühen lässt. Die ewige Feuchtigkeit des Winterhalbjahres liegt wie ein nasser Wickel im Halbrund der Bucht und lässt die Vegetation an der steilen Abrisskante wuchern wie auf Pandora. Alles Grün glänzt in stehender Nässe, Schuhe durchweichen nach wenigen Schritten. Aber es hat eben auch nichts von dieser wohlig warmen Mittelmeerluft. Das rosige Gesicht eines galicischen Fischers starrt mich an, mit salzverkrustetem Haar und wildem Bart. Man muss die herbe Schönheit dieses España Verde schon mögen, um hierher zu fahren, und nur selten hat man dieses momentane Wetterglück zu einer Zeit, wenn daheim das erste Adventsgebäck im Ofen liegt.

Zwei Beispiele auch in dieser Region zeigen, wie aufregend schön die Welt zu unseren Füßen sein kann. Der Strand Cuevas del Mar mit seinen Meereshöhlen und Felsbögen ist so ein Kleinod. Zu Fuß muss man ihn und seine karstige Umgebung erwandern, weil ein Naturtunnel dem Camper über 2,30 Meter Höhe die direkte Zufahrt versperrt. Und so ist die Klippenwanderung zur Ermita de San Antonio, einer hoch über dem Meer thronenden Kapelle mit klotzigem Scheingiebel, ein wahres Highlight – gerade auch vor dem Hintergrund der im Gegenlicht gezackten Cordillera. Die dann auch rosafarben im Morgenlicht die Kulisse für das Küstenstädtchen San Vicente de la Barquera bildet. Äußerst fotogen an seiner gleichnamigen Ría gelegen, mit einer Handvoll Sandstränden, allen voran der weite Playa de Merón. Eine in felsiger Abgeschiedenheit gelegene Kapelle ist unser letztes Ziel weiter östlich bei Bilbao. Die Magie der exponierten Lage nimmt einen beim Abstieg völlig gefangen, begleitet vom ständigen Glockengebimmel von San Juan.

Wer es bis dort oben schafft, hängt sich schweratmend ans Glockenseil, wo ein kräftiger Zug daran dreimaliges Läuten erzeugt. Noch kräftezehrender allerdings ist der angelegte Steinpfad auf dem Rückweg. 30 Prozent Steigung – der warnenden Beschilderung zufolge hat hier schon manche Wade schlappgemacht. So erreichen auch wir ziemlich erledigt unser Auto, wegen des schnellen Rückmarsches gegen Dunkelheit und – tatsächlich wieder – einsetzenden Regen. Keinen Meter fahren wir mehr. Hoch oben auf einem Stellplatz für Wohnmobile verbringen wir eine ruhige letzte Nacht am Meer. Ganz spießig und legal.

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