Die raue Schöne – Leser unterwegs in Neufundland

Maja Malovic und Tobias Wienhold sind durch die einsamen und kalten Weiten von Neufundland gereist. Sie berichten
Neufundland
Ganz allein am östlichsten Punkt Kanadas: raue Natur, einsame Straßen … wenn es überhaupt welche gibt

Maja und Tobias bereisen ein Jahr lang Nordamerika in ihrem Pickup-Camper. Wie es dazu kam? Vor einigen Jahren hatte sich das Paar während eines dreiwöchigen Roadtrips durch Westaustralien die Frage gestellt: „Was würden wir machen, wenn wir keine Angst hätten?“ Und die Antwort war schnell klar: Sie wollen länger als nur wenige Wochen im Jahr mit dem Camper die Welt bereisen. Das machen die beiden nun seit April 2022.

 

Neufundland

Maja Malovic und Tobias Wienhold

Alter: 35 & 38 Jahre
Wohnort: Karlsruhe
Reiseregion: Neufundland und Labrador
Reisedauer: 3 Wochen (insgesamt unterwegs: 12 Monate)
Reisestrecke: k. A.
Instagram: @Majasflow

 

Neufundland

Nissan Navara Pickup-Camper

Baujahr: 2011
Motor: 2,4-l-Diesel
Verbrauch: 10 l/100 km
Aufbau: Bimobil
Schlafplätze: 2 + 2

 

Die Freiheit genießen, unsere Zeit selbstständig einteilen können – davon träumten wir, als wir uns vor einigen Jahren an die Planung machten, um mit dem Camper ein Stück entlang der Panamericana zu fahren. In Kanada sollte der Start sein. Zu Beginn der Planungen hatten wir noch nicht einmal einen Camper, der zu unseren Vorstellungen gepasst hätte. Den fanden wir schließlich in einem 4×4-Pickup von Bimobil, den wir so ausstatteten, dass wir so ­autark wie möglich mehrere Tage an schönen Stellplätzen abseits der Zivilisation verbringen können.

Ein besonders schönes Stückchen „abseits der Zivilisation“ entdeckten wir in der kanadischen Provinz Neufundland: Diese raue, stürmische Insel war ein ganz besonderer Stopp auf unserer Reise. Wer sie auf einer Fahrt durch Kanada auslässt, verpasst unserer Meinung nach fantastische Eindrücke und eine besondere Landschaft. In Neufundland haben wir nicht nur durchnässt im Wind gefroren, sondern sind auf Gestein aus dem Erdmantel durch eine marsähnliche Landschaft gewandert, haben endlose Kilometer schroffer Küste bewundert, unsere Getränke mit 10.000 Jahre altem Eisberg-Eis genossen und Wale und Papageientaucher beobachtet. Eindrücke, die für uns jegliche Unannehmlichkeiten aufwogen.

Und ungemütlich kann es in Neufundland ziemlich schnell werden – zumindest was das Wetter betrifft. Als östlichste Provinz Kanadas, gelegen zwischen St.-Lorenz-Strom und Atlantischem Ozean, ist es dort oft stürmisch. Selbst im Sommer klettern die Temperaturen selten über 20 Grad Celsius. Im Mai und Juni kann man in den Highlands sogar noch von Schnee überrascht werden. Da in Neufundland auf einer Fläche, die so groß wie Bayern und Baden-Württemberg zusammen ist, nur etwa 523.000 Einwohner leben, bleibt viel Platz für echte Abgeschiedenheit – und für Offroad-Abenteuer. Denn nur ein kleiner Teil der Insel ist auf Straßen zu erreichen. Dazwischen liegt echte Wildnis.

Nur ein kleiner Teil der Insel ist über Straßen erreichbar – der Rest ist Wildnis

 

Zwischen Seen und Sumpfgebieten

Neufundlands Küstenlinie ist stark zer­klüftet und erstreckt sich insgesamt über 10.000 Kilometer. Im Landesinneren wechseln sich dicht bewaldete Gebiete mit zahlreichen Seen und Sumpfgebieten ab. Die dünne Besiedelung und die auch zur Hochsaison geringe Anzahl an ­Reisenden lädt zum wilden Campen geradezu ein. Oft kann man an den traum­haftesten Stellplätzen für sich alleine verweilen und die Abgeschiedenheit am Lagerfeuer genießen. Die Neufundländer, die sich selbst auch als Newfies bezeichnen, sind uns sehr freundlich und offen begegnet und haben uns immer wieder auf unseren für Kanada besonderen Camper angesprochen. Wer jedoch denkt, dass der sprachliche Austausch trotz fließender Englischkenntnisse immer reibungslos verläuft, der wird überrascht. Die Neufundländer sind bekannt für ihre undeutliche Aussprache. Im restlichen Kanada haben sie den Ruf, so zu reden, als hätten sie eine heiße Kartoffel im Mund. Bewusst sein sollte man sich vor einem Abstecher, dass Lebensmittel und Diesel noch einmal merklich teurer sind als im restlichen Kanada.

 

Neufundland
Perfekter Platz für Sonnenaufgänge: der Leuchtturm am Cape Spear

 

Wir haben die Anreise nach Neufundland mit einer Fahrt entlang des beliebten Cabot Trails kombiniert, was wir jedem empfehlen würden. Mit der Fähre ging es dann von Sydney im Norden der Cape-Breton-Halbinsel hinüber nach Port aux Basques im Südosten Neufundlands. Schon der Blick von der Fähre war wunderbar: Wir konnten Wale und Delfine beobachten. Also: Fernglas und winddichte Kleidung mitnehmen! Die Einfahrt nach Port aux Basques war ebenfalls sehenswert: Bunte, skandinavisch anmutende Holzhäuser säumen malerisch die felsige Küstenlinie. Im Hintergrund sieht man bei gutem Wetter bereits das Hochland, das sich steil erhebt, und dessen Spitzen meist wolkenverhangen und verschneit sind.

 

Zwischen Schnee und Eis

Schnee und Eis gab es dann auch zur Genüge und in eindrucksvoller Form auf der Bootstour zu den Eisbergen, die man im Mai und Juni an der Nordküste Neufundlands häufig sichten kann. Wir entschieden uns für ein kleineres Boot, statt uns mit Dutzenden anderen Menschen auf einem der mehrstöckigen Schiffe zu drängen. Für uns war das Beobachten der Eisberge, die sich von den Gletschern in Grönland gelöst haben und deren Eis mehr als 10.000 Jahre alt ist, ein besonderes Erlebnis: die schiere Größe, das sich je nach Sonnenlicht ändernde Farbenspiel … und dann haben wir vom Kapitän unserer Bootstour sogar noch einen Eisblock aus dem Wasser gefischt bekommen und genießen nun auch viele Tausend Kilometer weiter westlich noch zu speziellen Anlässen unsere Getränke mit Gletschereis.

Neufundland, das sind Eisberge, Einsamkeit und raue Küstenlinien

 

Zwischen Beobachten und Staunen

Ein Farbenspiel der anderen Art bekamen wir dann im Nordosten von Neufundland im kleinen Örtchen Elliston geboten: Papageientaucher. Als wir die Puffins das erste Mal erblickten, haben uns zwei Dinge besonders beeindruckt: zum einen der farbenfrohe orange-gelbliche Schnabel, der besonders durch das ansonsten schwarz-weiße Gefieder hervorsticht. Sie scheinen wie eine Paarung aus Pinguin und Ara. Zum anderen die Tatsache, dass sie trotz der überproportional kleinen Flügel und pummligen Gestalt jeglicher Physik zu trotzen scheinen und tatsächlich fliegen können. Puffins verbringen den Großteil des Jahres weit abseits der Ufer auf offener See und kommen nur zum Nisten zurück an die Küsten. Zum Bau ihres Nests, das sie vorzugsweise auf abgelegenen Steilküsten errichten, graben sie sich schützende Erdlöcher.

Das wunderbare an Elliston ist, dass die Puffins hier ganz einfach vom Ufer aus beobachtet werden können. Die Niststellen liegen, nur durch einen schmalen Meeresstreifen getrennt, auf einer kleinen Insel weniger als hundert Meter vor der Küste. Man muss also nicht extra mit einem Boot auf Beobachtungstour fahren. Mit Fernglas oder Teleobjektiv kann man die Puffins beliebig lange vom Ufer aus beobachten. Ausgestattet mit dicker Jacke, Mütze, Handschuhen und Fernglas haben wir voller Begeisterung einen ganzen Tag damit verbracht, das bunte Treiben am Felsen gegenüber zu beobachten.

 

Neufundland
Wie eine Marslandschaft sehen die Tablelands im Gros Morne National Park aus

 

Zwischen Felsen und Meer

Ziemlich beeindruckende Felsen gibt es auch im Gros Morne National Park im Westen der Insel: Hier liegt die wohl bekannteste Sehenswürdigkeit Neufundlands, der Western Brook Pond, den man am besten per Boot erkundet. Vom Wasser aus hat man fantastische Ausblicke auf die steil aufsteigenden Felswände und die daran herabstürzenden Wasserfälle. Leider hatten wir hier Pech und die gebuchte Bootstour wurde wegen dichtem Nebel, der das gesamte Tal verhüllte, abgesagt. Aber auch der restliche Park bietet viele beeindruckende Aussichten. Die Tablelands im südlichen Teil des Parks ähneln einer Marslandschaft. Tatsächlich entstammt das Gestein der Erdkruste und dem Erdmantel und wurde durch die hier aufeinanderprallenden Kontinentalplatten an die Oberfläche befördert. Die seltene Möglichkeit, einmal darauf spazieren zu gehen, ist definitiv ein tolles Erlebnis.

Eine weitere Wanderung, die uns sehr gefallen hat, ist der nur wenige Kilometer entfernt beginnende Green Gardens Trail. Der Pfad schlängelt sich durch verschiedenste Vegetationszonen, zunächst durch Gesteinshalden, anschließend durch dichte Buschlandschaft und Nadelwald hinab zum Meer. Dort angekommen eröffnen sich beeindruckende Ausblicke auf die Steilküste. Bereits im Frühjahr war dies definitiv unsere Lieblingswanderung im Park, und später im Jahr sollen die tiefgrünen Farben der Vegetation dem Namen des Pfads alle Ehre bereiten und dann im starken Kontrast zu den rötlich braunen Tönen der Tablelands stehen.

Kurz vor dem südlichen Ende des Gros Morne National Parks haben wir auch unseren persönlichen Lieblingsstellplatz gefunden. Direkt am Ufer eines einsamen Bergsees gelegen, mit Blick auf grüne Nadelbäume. Von der Route 431 führt eine kurze Schotterstraße hinab zum See. Dort finden sich mehrere Stellplätze mit malerischer Aussicht und Feuerstellen direkt am Ufer. Auch ohne ein Offroadfahrzeug sind sie einfach zu erreichen und definitiv eine Übernachtung wert. Die traumhafte Lage hat in der Vergangenheit wohl schon einige andere Camper dazu inspiriert, sich hier dauerhafter niederzulassen. Entlang der ­Schotterpiste findet sich ein alter, verlassener Schulbus, der zum Camper umgebaut wurde. Wenn wir rückblickend an unsere Reise durch Neufundland denken, dann sind dieser traumhafte Stellplatz, unser Lagerfeuer am See und der Lachs, den wir dort gegrillt haben, ein besonderes Highlight unserer Reise.

 

Neufundland
Die Eisberge, die man sich von Booten aus ansehen kann, bestehen aus 10.000 Jahre altem Gletschereis

 

Zwischen Faszinierenden Capes

Nicht zu verachten ist aber auch – und nicht nur für Vogelfreunde – das Cape St. Mary’s. Es liegt am südlichen Ende der Avalon-Halbinsel und ist in circa zwei Stunden von St. John’s aus zu erreichen. Was die ansonsten recht unspektakuläre Halbinsel einen Besuch wert macht, sind die über 60.000 Vögel, die das Kap als Brutstätte auserwählt haben. An den 60 Meter hohen Klippen des Bird Rock wimmelt es nur so vor Basstölpeln, Möwen und Dickschnabellummen. Das Interpretive Center informiert sehr ausführlich und anschaulich über die verschiedenen Spezies und ihr Nistverhalten. Wir waren einfach überwältigt von der schieren Menge an Vögeln, der Lautstärke ihres Geschreis und dem wilden Treiben an den Klippen.

 

Neufundland
Ganz allein am östlichsten Punkt Kanadas: raue Natur, einsame Straßen … wenn es überhaupt welche gibt

 

Ein weiteres Cape, das nur wenige Kilometer von der Provinzhauptstadt St. John’s entfernt liegt, ist das Cape Spear. Es bildet nicht nur den östlichsten Punkt Kanadas, sondern bietet auch spektakuläre Sonnenaufgänge. Die aufgehende Sonne taucht den Leuchtturm, der einfahrenden Schiffen den Weg in den Hafen von St. John’s weist, in magische Orange- und Gelbtöne. Das frühe Aufstehen lohnt sich also definitiv, um den spektakulären Anblick zu genießen. Nach dem anschließenden Frühstück lohnt sich noch eine Besichtigung der Bunkeranlagen, die im Zweiten Weltkrieg eine bedeutende Rolle spielten.

Die wilde und raue Natur lässt sich in Neufundland fast ganz alleine erkunden

 

Zwischen begeistert und beeindruckt

Neufundland steht nicht unbedingt auf der Reiseroute vieler Panamericana-­Reisender. Wenn man an Kanada denkt, dann steht meist eher der Westen des Landes mit seinen bekannten Nationalparks und Attraktionen im Fokus. Die Möglichkeit, fast alleine die wilde und raue Natur Neufundlands zu erkunden, hat uns aber gereizt. Nach unserer dreiwöchigen Tour über die Insel möchten wir die gewonnenen Erlebnisse nicht mehr missen. Nirgends sonst hätten wir die Möglichkeit gehabt, 10.000 Jahre alte Eisberge zu sehen, auf der Erdkruste zu wandern oder Puffins und Tausende von Vögeln aus der Nähe zu beobachten. Unserer Meinung nach ist Neufundland auf jeden Fall einen Abstecher wert.

 

Neufundland
Fast zu schön, um wahr zu sein: am ­Feuerplatz wärmen, direkt am Ufer des Bergsees
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