ON TOUR. OFF ROAD: REISEN. AUTOS. TECHNIK.

ON TOUR. OFF ROAD: REISEN. AUTOS. TECHNIK.

Leser unterwegs in Brasilien

Familie Wollert berichtet von Ihrer Offroad-Tour durch Brasilen, mit ihrem Toyota Haice „Dusty“ und mit frischen Windeln im Gepäck

Toyota Hiace „Dusty“

Baujahr 1996

Motor 3.0 Turbodiesel

Verbrauch 11 l/100 km

Schlafplätze 5

 

Leon, Sara & Alexander Wollert

Alexander ist in der Vergangenheit bereits viel gereist – sei es mit dem Rucksack durch den Iran, mit dem Kajak durch Sibirien oder dem Geländewagen durch den Kaukasus und Alaska. Sara war von der Idee, die Elternzeit auf Reisen zu verbringen, schnell begeistert. Beruflich sind beide aktuell als Scrum Master tätig.

Alter 1 & 37 & 39 Jahre

Wohnort St. Peter im Hochschwarzwald

Reiseregion Südamerika

Reisedauer 8 Monate

Reisestrecke rund 7.000

Website dustoftheworld.com

 

Lang habe ich im Vorfeld recherchiert, ob es eine gute Idee ist, mit einem kleinen Kind zu reisen. Und wenn ich von „Reisen“ spreche, meine ich nicht einen entspannten All-inclusive-Urlaub in Holland, sondern abenteuerliche Expeditionen am anderen Ende der Welt. Ich wurde fündig! Zahlreiche Familien haben ihre fantastischen Erfahrungen mit ihren Kindern auf Reisen geteilt, sei es in schriftlicher Form oder durch Videos. Das hat uns ermutigt, und so planten wir neun Monate Elternzeit. Unser Traum ist es, aus unserem kleinen Säugling einen neugierigen Entdecker zu machen und gemeinsam den für uns unbekannten Kontinent Südamerika zu erkunden. Bald wird der Kleine auf Lamas reiten und mit anderen Kindern im Dschungel spielen. Irgendwo auf dieser Reise wird er seine ersten Schritte machen. Auch wenn er sich später nicht daran erinnern kann, werden die Fotos ihm zeigen, dass er Teil eines solch aufregenden Abenteuers war.

In Paraguay finde ich einen Toyota Hiace von 1996 mit Allradantrieb, hohem Dach und Duschkabine. Zusätzlich lasse ich einige praktische Anpassungen vornehmen, wie etwa den Einbau von Solarpaneelen, einen größeren Tank, Geländereifen, einen Dachträger und eine Küche. Außerdem wird der Wagen höher gelegt. Wir taufen ihn auf den Namen „Dusty“. Sobald das Fahrzeug fertig ist, brechen wir auf. Hinein ins Unbekannte, mit ausreichend Windeln an Bord.

Das Herz der Brasilianer

Unsere Reise führt uns zunächst durch Paraguay und weiter zu den berühmten Wasserfällen von Iguaçu. Von dort nehmen wir den Highway nach Osten. Unser Plan ist es, durch Santa Catarina zu den schönen Stränden des Atlantiks zu fahren. Danach wollen wir nach Argentinien und südlich an Paraguay vorbei in Richtung der Berge fahren.

Wir brechen auf: mit ausreichend Windeln hinein ins Unbekannte

Wir finden mobiles Internet und bekommen die Gelegenheit, zum ersten Mal zu tanken. Auf Portugiesisch ist alles noch ein wenig komplizierter als auf Spanisch. Aber gleichzeitig sind die Menschen besonders hilfsbereit und bemühen sich sehr, um uns zu helfen.

Der Highway ist unspektakulär und wir folgen Stunden einer Landschaft aus Feldern. Dann erreichen wir die Stadt Cascavel, wo wir bei den Couchsurfern Luiz und Jalmir unterkommen. Die beiden haben eine extrem saubere Wohnung und bieten uns ein eigenes Zimmer an. Luiz spricht Englisch, mit Jalmir ist es etwas komplizierter, aber er ist trotzdem sehr interessiert mit uns zu sprechen. Und er macht das beste Rodizio – das traditionelle Grillen –, das wir im ganzen Land finden.

Luiz ist das Gegenteil des brasilianischen Prototypen und wäre sicher eine Enttäuschung für den amtierenden rechtsextremen, homophoben Präsidenten Jair Bolsonaro. Luiz ist schwul, liebt Rockmusik und tanzt keine Samba. Er ist der liebenswerteste Kerl, den man sich vorstellen kann.

Die Brasilianer haben mehr Kaffee und Kuchen am Nachmittag, als ich aus jedem heimischen Seniorenheim kenne. Luiz und Jalmir lassen keinen Nachmittag ohne Süßes und über einen Filter direkt in die Thermoskanne gebrühten Kaffee verstreichen, zu dem wir natürlich auch eingeladen sind.

Wir erfahren, dass Argentinien gerade wieder eine wirtschaftliche Krise erlebt und infolgedessen, neben der schon obligatorischen Inflation, Diesel im Land knapp wird. Für unseren Diesel ist das ein Problem, wobei wir mit unserem großen Tank vielleicht sogar ohne zu tanken durch das Land kommen könnten. Wir machen uns Gedanken und beschließen, unsere Route zu ändern. Dadurch verpassen wir den Atlantik und den Norden Argentiniens, dafür kommen wir aber durch das Pantanal.

Wir verlassen die wilde Schönheit des Río Paraná und die fröhlichen Menschen, die wir dort kennengelernt haben. Rund um den Fluss ist ein Naturschutzgebiet und bei mir stellt sich schon das Gefühl des Abenteurers im Dschungel ein. Das lässt aber wieder nach. Bald fahren wir erneut ewig durch Kulturlandschaft. Rinderfarmen, Maisfelder und riesige Agraranlagen ziehen links und rechts an uns vorbei.

Die Jagd nach dem Ameisenbären

Von Rio Verde de Mato Grosso nehmen wir eine kleine Piste in Richtung Aquidauana. Ich habe gelesen, dass es entlang dieses Weges besonders viele Ameisenbären zu sehen geben soll. Das möchten wir uns nicht entgehen lassen und nehmen dafür einen großen Umweg in Kauf. Wir haben genug Wasser und Nahrungsmittel besorgt und sind bereit.

Die Straße besteht nach wenigen Hundert Metern nur noch aus Schotter und Bodenwellen. Zuerst enttäuscht die Strecke durch Industrie, künstlich angelegte Wälder und dann Rinderweiden. Aber dann ändert sich die Landschaft. Die Straße führt durch Dschungel und wieder an endlosen Weiden vorbei. Tafelberge erstrecken sich am Horizont und färben sich im Laufe des Tages mit der tiefer stehenden Sonne rot.

 

In der Weite Brasiliens findet sich immer ein schöner Platz

 

Wir sehen viele Tiere auf dem Weg, besonders Vögel. Schwarze Geier kreisen immer wieder nahe der Straße, auch weißköpfige Riesengeier sehen wir. Riesige Nandus stelzen durch das Gras und kleine blaue Vögel huschen durch das Gebüsch. Nur Ameisenbären haben wir noch nicht entdeckt. Es ist sehr heiß. Wir stellen die Markise auf, um Schatten zu bekommen. Das Wasser funktioniert nicht, weil ein Schlauch gerissen ist. Ich nehme mir etwas Zeit und repariere ihn.

Wir geben uns nicht viel Mühe bei der Suche nach Nachtlagern und halten unweit der Piste, denn es gibt genügend Platz. Die Berge sind golden gefärbt und es wirkt, als wären wir in der afrikanischen Steppe. Dieses Bild habe ich mir unter Brasilien nicht vorgestellt. Die Straße führt geradeaus bis zum Horizont. Die Nacht stellt sich ein und mit ihr der strahlende Sternenhimmel.

Das Pantanal packt ein Sortiment feinster Tierarten für uns aus. Wir sehen Seriemas, Nasenbären, Wildschweine, schwarze Geier, Königsgeier, Wasserschweine, Weißhalsibise und Tukane. Dann beobachten wir Nandus, Jabirus und die überall vorhandenen Caracaras, die aussehen wie Gangster in Vogelform. Aber immer noch bemerken wir keinen einzigen Ameisenbären, obwohl es von denen nur so wimmeln soll. Es gibt so viele Termitenhügel hier.

Ein Tummelplatz der Tiere

Wir gelangen nach Aquidauana und bleiben ein paar Tage auf einer Ranch. Dort erholen wir uns etwas von der Wildnis und frischen unsere Vorräte auf.

Wir verlassen die wilde Schönheit des Roí Paraná

Ich habe auf der Karte eine kleine Straße entdeckt, die von Aquidauana nach Norden in Richtung des Herzens des Pantanal führt, wo wir viele wilde Tiere zu sehen hoffen. Die Piste führt vorbei an Farmen und sehr weiten Graslandschaften, in denen tropische Bäume stehen, zwischen denen Rinder grasen. Auf den Weiden sehen wir auch wieder unzählige Nandus und endlich die sehnsüchtig erwarteten Ameisenbären. Sehr viele Ameisenbären. Plötzlich sind überall Ameisenbären.

 

Dem Ameisenbär auf der Spur

 

Die flauschigen Insektenfresser tappen im Gras herum und schnüffeln mit ihren langen Nasen in Löchern im Boden. Ich kann ganz nah an einen herangehen und aus der Nähe betrachten. Die Tiere sind überhaupt nicht scheu. Wir sehen auch eine Mutter, deren Junges ganz eng an ihren Körper geschmiegt ist. Andere Ameisenbären tappen gelassen vor uns über die Straße.

Irgendwann drehen wir gar nicht mehr den Kopf, wenn der andere sagt, dass er einen Ameisenbären sieht.

Plötzlich sind überall Ameisenbären

Die Piste führt durch eine Farm und wir stehen plötzlich vor einem geschlossenen Holztor. Ich frage einen Cowboy, der mit seinen Kumpels ein paar Pferde versorgt, nach Durchlass und wir dürfen passieren. Nach dem letzten Gatter, das wir durchqueren, verwandelt sich unsere Straße in eine matschige Sandpiste und der Allradantrieb bekommt viel zu tun.

Große Lachen Wasser sammeln sich in Senken und sorgen für immer neue Überraschungen, ob man sie durchqueren kann oder stecken bleibt. Nach vielen langsamen Kilometern bleiben wir hängen und der Van gräbt sich immer tiefer in den Matsch, sodass sich um uns herum ein kleiner See bildet.

Doch etwas hin und her und vor und zurück zu fahren funktioniert und mit durchdrehenden Rädern und dem Fuß am Anschlag des Gaspedals schaufelt sich der Toyota im Rückwärtsgang wieder aus unserer misslichen Lage.

Es ist schon später Nachmittag und Leon muss abendessen. Das Bett muss gemacht werden und alles dauert seine Zeit, daher bauen wir auf einer trockenen Wiese neben der Stelle, in der wir zuvor stecken geblieben sind, unser Nachtlager auf. Zur Begrüßung trottet ein dunkler Fuchs direkt neben unserem Wagen entlang und verschwindet im Busch, als ich gerade meine Kamera gefunden habe.

Im Tümpel neben uns tummeln sich kleine Alligatoren. Dazwischen sehe ich den kopflosen Kadaver eines der Reptilien. An einem Baum, nicht weit von uns, sehen wir tiefe Kratzspuren eines Jaguars. Wir haben uns einen gefährlichen Schlafplatz ausgesucht. Diese Gedanken kommen mir in der Dämmerung, als ich mein Bier absetze und ein großer Alligator wenige Meter von uns entfernt gemächlich die Straße überquert.

 

Wenn man seinen Van verlässt, kann man buchstäblich auf einen Alligator treten

 

Der Vollmond geht auf und die Geräusche über dem Pantanal nehmen zu. Ich habe den Eindruck, draußen das Gebrüll einer großen Katze zu hören. Es wird ein bisschen gruselig und wir wagen es nicht, in der Nacht noch mal draußen pinkeln zu gehen. Wir könnten im wahrsten Sinne des Wortes auf einen Alligator treten oder gratis Abendessen für den Jaguar darstellen.

 

Wir teilen unseren Nachtplatz mit einem Jaguar – keine gute Idee

 

Am nächsten Morgen beschließen wir die Rückfahrt. Leider wird die Piste immer schwieriger und Sara hat nicht die Nerven, das Abenteuer fortzusetzen. Wir haben Pech, dass ausgerechnet jetzt Regen einsetzen muss, nachdem in den letzten drei Monaten kein Tropfen vom Himmel kam. Wir wollen aber auch nicht ein paar Tage warten. Wir setzen zurück und bleiben zur Bestätigung noch ein paar Mal im Matsch stecken. Dafür sehen wir aber eine Großfamilie Nasenbären, die an einem der Wasserlöcher der Straße Halt zum Trinken macht und sich lustig miteinander zankt.

Wir befinden uns schon nahe der Grenze zu Bolivien. Dorthin geht unsere Reise weiter, und vielleicht erreichen wir irgendwann Kolumbien. Wir werden sehen.

 

Hoffentlich hält die Brücke, denn unten warten Alligatoren und Piranhas