Zweite Insolvenz von EQ-Line: Der Anfang vom Ende?

Der Fahrzeugbau-Betrieb von Volker Schlegel ist pleite – zum zweiten Mal in vier Jahren. Es mehren sich Anzeichen für unsaubere Geschäftspraktiken, aber nicht nur bei EQ-Line, sondern auch bei anderen Produzenten. Wann fällt der nächste Hersteller?

Komplexe Materie: Der Bau hochpreisiger Fahrzeuge bietet viele Stolpersteine

Es ist ja nicht so, dass die Überhitzung eines Marktes so überraschend daherkommt wie das Weihnachtsfest. Und doch – der vergangene Dezember-Ausklang stürzte einige Familien schlagartig von Feiertagslaune in Frust und Verärgerung, als am 19. Dezember die EQ-Line aus Mengen den vorläufigen Insolvenzantrag stellte. So ein Weihnachtsgeschenk wünscht man niemandem. Es sollte ein Weckruf sein. Einer der drastischen Art. Einer, der an alle gerichtet ist – Hersteller wie Kunden.

 

Pech gehabt? Oder steckt Methode dahinter?

Zuerst das Offensichtliche: Der in Mengen, Baden-­Württemberg, ansässige Tischlermeister Schlegel startet im Jahr 2012 unter dem Namen Voxformat seine Karriere als vollumfänglicher Fahrzeugbauer, in den Jahren zuvor war der Betrieb unter anderem für Füss im benachbarten Sigmaringen als Lieferant für Innenausbauten aktiv. Von Beginn an setzt Schlegel bei Voxformat auf das, was seine Schreinerei seit Langem auszeichnet: den Anspruch auf die oberste Schublade, das Nonplusultra, den Luxus. Schlegel geht mit seinen Fahrzeugen sofort auf 100 Prozent, punktet mit neu­artigen Detaillösungen und flucht über das große Ganze – es gibt kaum ein Zubehör-Produkt, das ihn zufrieden stellt, alles soll nach Möglichkeit aus eigenem Haus kommen, vom Fenster bis zum Kühlschrank. Es ist ganz offensichtlich: Hier will jemand das Rad ganz neu erfinden. Ob das gut gehen kann? 2015 ist die ­GmbH insolvent.

Was mehr überrascht: Bereits Wochen später ist ­eigentlich wieder alles beim Alten, aus der Voxformat GmbH wurde die EQ-Line UG, es ist für Außenstehende die einzige Veränderung, die sich vollzieht. Schuld an der Zahlungsunfähigkeit seien „Varan”-Kunden gewesen, die sich nicht an Zahlungsvereinbarungen gehalten hätten. Dass schon kurze Zeit später erste Fahrzeuge aus der Voxformat-Flotte bei anderen Aufbauherstellern und Fahrzeugumrüstern landen, um durchaus massive Schäden beheben zu lassen, ist zu diesem Zeitpunkt noch nicht relevant, bisher sind allein der EXPLORER-Redaktion vier solcher Fahrzeuge bekannt.

Die Kunden und Interessenten glauben der Geschichte vom Zahlungsausfall und stehen in Mengen schnell wieder Schlange. Denn nicht nur das Design und die technische Raffinesse gefallen den Menschen, auch werden sie dort abgeholt, wo sie sind – und das sogar ganz räumlich gesehen. Dass EQ-Line mit gleich drei strategisch günstig geparkten Vorführ-Lkw auf der Camp-Area der „Abenteuer & Allrad” ein ganzes Veranstaltungskonzept zu seinen Gunsten untergräbt, stößt niemandem sauer auf – den Wettbewerb einmal ausgenommen. Und so sind es im Dezember 2019 vermutlich sieben Auftraggeber, die ihren Traum von der großen Reise im eigenen Allradmobil vorerst an den Nagel hängen können.

 

Noch im Jahr 2018 wirbt Schlegel offensiv mit der Marke Voxformat. Zu dieser Zeit läuft im Betrieb offenbar schon einiges nicht mehr rund

 

Wie kann man so etwas machen?

Jeder kennt die Erzählungen Dritter, die auf einen ­offensichtlichen Kuhhandel hereingefallen sind. So verdichtet, ist es für jeden unerklärlich, dass man überhaupt hat in die Falle tappen können, das denkt sich auch der Betroffene. Doch geht es hier nicht um einen Teppich im Souk oder ein Haustürgeschäft, sondern um fünf-, oft sechsstellige Summen, da sollte man doch eigentlich aufmerksamer, zurückhaltender, skeptischer sein? Ich habe an Weihnachten einmal die Gegenprobe gemacht, hier und da, im Freundes- und Bekanntenkreis folgendes Postulat in den Raum gestellt: „Du willst ein Haus kaufen, der Bauträger ist seit sieben Jahren auf dem Markt und war 2015 einmal insolvent …” Ich komme keinmal dazu, von den tollen architektonischen Vorzügen zu schwärmen, dem Design, der handwerklichen Kunst. Alle wiegeln schon nach dem ersten Satz ab. „Keine Chance”, „Viel zu ­hohes Risiko”, „Da läuft doch was schief”. Und als ich in dem Kontext noch die Vorkasse ins Spiel bringe, das schrittweise Zahlen pro Bauabschnitt, ernte ich ­Gelächter.

„Im Jahr 2000 begann der Stahlbauschlosser, KFZ-Mechaniker und Tischlermeister, die ersten Reisefahrzeuge zu planen und ideenreich auszubauen. Aufgrund der Leidenschaft für das Produkt Spezialfahrzeuge, wurde dieser Bereich fortwährend weiterentwickelt und wuchs somit zur neuen Firmenidee heran.

Zitat aus der Selbstbeschreibung der Firma EQ-Line (verkürzt). Persönliche Leidenschaft für den Fahrzeugbau ist für viele Hersteller der Einstieg in die Szene, oft genug wird diese dann nicht mit umfassender Fachkompetenz untermauert. Der Kunde bleibt auf der Strecke

Das dicke Ende von EQ-Line kam nicht von ungefähr, schon im Sommer meldeten sich erste besorgte Kunden beim EXPLORER, schilderten die Hinhalte-­Taktik. Und sind damit nicht die Einzigen, auch aus anderen Betrieben sind der Redaktion solche Taktiken mittlerweile bekannt. Wenn der Wunsch nach einem Offroad-Reisemobil – oder in diesem Fall auch der Wunsch nach einem Offroad-Trailer – im Herzen lodert, aber die Lieferzeiten der Hersteller Jahre betragen, scheint zunehmend der Verstand auszusetzen. Man könne demnächst dazu übergehen, die Bauplätze zu versteigern, scherzte vor einigen Wochen jemand – ­eine in vielerlei Hinsicht bizarre Vorstellung. Auf einmal ist es nicht mehr der Kunde, der den Hersteller seiner Wahl anhand der gebotenen Qualität, dem Kundenservice und dem Preis-Leistungs-Verhältnis auswählt, sondern es obliegt dem Hersteller, sich die Kunden auszusuchen. In vielen Fällen ist das schon Praxis, kein Albtraum.

Das Vertrackte an der Sache: Für den Käufer gibt es nur einen Ausweg: nicht kaufen. So schön und vor ­allem auch einzigartig die EQ-Line-Konzepte in mancherlei Hinsicht sein mögen – wenn das Umfeld nicht passt, ist der Spatz in der Hand besser als das Traum­auto in der Insolvenzmasse. Es scheint so, als müsse die Szene dies derzeit auf die harte Tour lernen.

 

EQ-Line wird kein Einzelfall bleiben

Schon im EXPLORER 2019-01 haben wir uns kritisch mit dieser Thematik befasst, da war noch nicht klar, dass das Jahr 2019 hier noch einmal eine Schippe würde drauflegen können. Mittlerweile gibt es populäre Aufbau-Hersteller, denen Gebrauchtfahrzeughändler mangels Zahlungsmoral ihre Lkw nur noch gegen Vorkasse verkaufen, Unternehmen, die sich für die Umrüstung altersschwacher Wohnwagen und 35 Jahre alter Lkw zu Expeditionsmobilen mit Fördermitteln der Euro­päischen Union unterstützen lassen – kein Witz – und eine Kundschaft, die sich bei uns in der Redaktion höflich erkundigt, wie man denn verfahren solle, wenn der Hersteller das Lieferziel wieder einmal um vier Monate nach hinten verschoben hat. Hand aufs Herz – wo soll das denn noch hinführen?

„Der Markt zeigt im Bereich der benötigten Bauteile große Lücken. Funktion, Qualität und auch das Design sind oftmals nicht passend.

Zitat Website EQ-Line, Dezember 2019

Wenn Betriebe, die vor vier, fünf Jahren noch nicht einmal existiert haben, nun im Monatstakt komplexe Umbauten mit unbekannter Lebensdauer aus der Halle fahren, wenn wir nach zweitägigen Testfahrten im norddeutschen Tiefland Mängelprotokolle über Serien-­Wohnkabinen zusammenschreiben, die mit Leichtigkeit eine DIN-A4-Seite füllen und durchaus strukturelle Komponenten betreffen, wenn es weiterhin Usus in der Szene bleibt, diese Problematiken auszuschweigen, statt sich ihnen offensiv zu stellen und Antworten zu finden, wenn das schnelle Geschäft über das Globetrotter-­Lebensgefühl triumphiert, dann könnte es in den kommenden Monaten und Jahren bitter werden.

Was viele unterschätzen: die Blase platzt nicht jetzt, der Knall liegt noch vor uns, in zweierlei Dimension. Zum ­einen werden immer mehr Autos geordert, die Nachfrage wächst und wächst seit Jahren. Das wird so nicht weitergehen. Und dann planen und kaufen viele Menschen derzeit im Voraus. Bestellen ihre Umbauten, Kabinen, Autos mit einer Vorlaufzeit von einem, zwei Jahren. Sie könnten Glück haben und der Hersteller ihrer Wahl steht zu Baubeginn noch immer gesund und motiviert da. Sie könnten etwas Pech haben und die Suche nach einem Baubetrieb beginnt von Neuem. Und andere bekommen Post vom Insolvenzverwalter.

 

Und die Moral von der Geschicht?

Das Problem ist: Es gibt eigentlich keinen Ausweg aus dieser Lage: Die Nachfrage ist weiterhin so hoch, die Möglichkeiten (und das Interesse) der etablierten Hersteller zur Steigerung der Kapazitäten sind weiterhin gering, innovative Ideen, um eine große Anzahl an Menschen mit guten Produkten zu versorgen, gibt es nicht. Das öffnet auch weiterhin schwarzen Schafen Tür und Tor. Wir werden uns also mit dem unschönen Gedanken anfreunden müssen, dass in den kommenden Monaten und Jahren noch manchem anderen Betrieb die Arbeit über den Kopf wachsen wird.

 

Gescheitert am Zuvielwollen? Volker Schlegel im Gespräch mit dem EXPLORER im Jahr 2014. Der Tischlermeister war zuvor als Zulieferer in der Branche aktiv, wollte bei seinen Autos alle Gewerke gleichzeitig revolutionieren

 

 

Insolvenz? Was das für den Kunden bedeutet

Die Insolvenz ist der Zustand der Zahlungsunfähigkeit eines Unternehmens – und zwar konkret, wenn 90 Prozent der Zahlungsverpflichtungen nicht innerhalb von drei Wochen ausgeglichen werden können. Im Rahmen eines Insolvenzverfahrens werden die verbliebenen Vermögensteile des Schuldners auf die Gläubiger aufgeteilt, zu denen gehören Lieferanten, Kreditgeber, Geschäftspartner, Kunden und Arbeitnehmer. Im Rahmen des Insolvenzverfahrens oder zur Abwendung der Insolvenz, kann ein völliger oder teilweiser Schuldenerlass angestrebt werden, beispielsweise, indem fällige Kreditraten reduziert oder Verbindlichkeiten gestundet werden. Gläubigern ist dringend geraten, sich von einem Fachanwalt vertreten zu lassen, um eine Chance zu wahren, sich gegen die Vielzahl an Gläubigern durchzusetzen und zumindest Hoffnung auf einen Teil der ausstehenden Forderungen zu haben.

Die Insolvenzmasse

Alle Vermögenswerte, über die das Unternehmen zur Zeit des vorläufigen Insolvenzverfahrens verfügt. Darunter fallen alle beweglichen Dinge (Bargeldreserven, Waren, Maschinen, Software, Fahrzeuge …) sowie Grundstücke und Immobilien. Den Wert der Insolvenzmasse möglichst hoch anzusetzen, liegt im natürlichen Interesse des Insolvenzverwalters, da nur so eine Möglichkeit besteht, alle Gläubiger zu bedienen; aber auch, weil sich das Honorar des Verwalters prozentual an der Höhe der Insolvenzmasse bemisst.

Ab- & Aussonderungsrecht

Für betroffene Kunden ist es das oberste Gebot, das eigene Eigentum aus der Insolvenzmasse herauszulösen: Ein angeliefertes Basisfahrzeug, von dem der Fahrzeugbrief vorgelegt werden kann, muss der Insolvenzverwalter beispielsweise aufgrund des Aussonderungsrechtes umgehend herausgeben, gleiches gilt für jedes Produkt, jeden Gegenstand, zu dem zweifelsfrei eine bezahlte Rechnung oder ein Vertrag vorgelegt werden kann, etwa im Auftrag beschaffte Ausstattungsgegenstände für das aufzubauende Fahrzeug. Verweigert der Verwalter die Herausgabe, kann der aussonderungsberechtigte Gläubiger vor einem Zivilgericht Klage auf Herausgabe seines Gegenstandes erheben. Problematisch wird es, wenn zu Teilzahlungen von Bauabschnitten keine oder nur ungenaue Angaben zu konkreten Gegenwerten festgelegt wurden; noch komplexer wird es, wenn diese Dinge mittlerweile untrennbar mit einem angelieferten Fahrzeug verbunden sind. Ist eine Zahlung nicht einer konkreten Arbeitsleistung und/oder einem konkreten Produkt zuzuordnen, ist die Wahrscheinlichkeit, diese im Rahmen des Insolvenzverfahrens noch zu erhalten, denkbar gering.

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