Technikexkurs über die Differentialsperren

Wie setzt man Differentialsperren sinnvoll ein – und warum? Wir geben einen kompakten Überblick

Differentialsperre

Der Griff zur Differentialsperre ist in unseren modernen, ­elektronifizierten Autos ein Anachronismus. So groß, dass viele Nutzer gar nicht recht wissen, was überhaupt geschieht, wenn man eine der Tasten mit dem X bedient. Und das, was wiederum passiert, ist von so fundamental simpler Mechanik, dass es so gar nicht zum vermeintlichen Hightech-Produkt „Allrad“ passen mag.  Machen wir einen kurzen Technik-­Exkurs: Fährt ein zweispuriges Fahrzeug eine Kurve, legt jedes der vier Räder eine andere Strecke zurück, obwohl das Auto an einem Stück in die Kurve hinein- und auch wieder hinausfährt. Wären alle Räder fix als All-Rad-Antrieb miteinander verbunden, wäre das so nicht möglich, denn der Wagen würde nur geradeaus rollen. Erst sogenannte Ausgleichsdifferentiale, in die Achse eingesetzte Kegelradgetriebe, erlauben Drehzahl­unterschiede innerhalb einer angetriebenen Achse. Das ist so weit nichts Neues, schon Leonardo da Vinci hat mit diesen Ausgleichsgetrieben gearbeitet, im ­Automobil sind sie seit 1827 bekannt.

Noch Grip? Dann keine Sperren

Den richtigen Moment zu finden, um die Differentiale zu sperren, ist entscheidend für ein langes Leben der Zahnräder. Wichtig: im Stand schalten, um Schäden an den Antriebswellen zu vermeiden. Der beste Zeitpunkt ist, wenn der Wagen mit gerade gestellten Rädern vor dem Hindernis steht, im Idealfall den letzten Meter ohne Kraft- oder Lenkeinfluss geradeaus gerollt ist. Dann lassen sich die Sperren am einfachsten aktivieren.

 

Abseits der Straße wird es nun wieder spannend, diesen automatisch ­regelnden Ausgleich außer Kraft zu setzen, denn der Nachteil eines Ausgleichs­getriebes ist, dass das von der Kardanwelle eingeleitete Drehmoment an die Achsseite weiterläuft, die den geringeren Widerstand bietet. Und das ist leider das Rad, das im Schlammloch oder im weichen Sand steckt. Damit also die Energie nicht auf der falschen Seite verpufft, sondern auch das auf festem Boden stehende Rad erreicht, wird per Elektromotor, Hydraulik oder Pneumatik im Differentialgehäuse eine Sperre in die Zahnräder gerückt und beide Antriebswellen werden fest miteinander verbunden.

Neben diesen rein mechanisch wirkenden Differentialsperren gibt es seit einigen Jahren auch Fahrzeuge, die ­einen ähnlichen Effekt mit Brems­eingriffen simulieren, Mercedes-Benz nennt diese Technik beispielsweise 4ETS. Der Trick hinter dieser Art Trak­tionskontrolle ist ähnlich simpel wie das gesperrte Zahnrad: Die Bremse des durchdrehenden Rades packt automatisch einseitig zu und gleicht den Schlupf so an das feststehende gegenüberliegende Rad an. Das Ausgleichs­differential kann wieder normal arbeiten und der Drehmoment-­Transport an die Räder ist wieder intakt. Größter Nachteil dieser Technik ist der erhöhte Bremsverschleiß und eine (im Millisekunden­bereich) verzögerte Funktion: die Bremse beginnt erst dann einzugreifen, wenn es eigentlich schon zu spät ist. Dann doch lieber ein mittelalterlicher Griff ins Zahnrad.

Jede Differentialsperre sollte nur so kurz wie möglich eingeschaltet werden

! Keine Kurvenfahrt möglich !

Mit jeder zugeschalteten Achssperre erhöht sich der Kraftaufwand, das Fahrzeug in eine Kurve zu zwingen. Spätestens dann, wenn auch die Sperre an der Vorderachse aktiv ist, sind Lenkmanöver nur noch auf Böden möglich, die dem Reifen wenig Halt geben. Das erleichtert es der Achse, Drehzahlunterschiede von Seite zu Seite auszugleichen, indem das kurvenäußere Rad durchdrehen kann. Werden diese Verspannungen nicht abgebaut, nimmt der Antrieb Schaden.

 

Differentialsperre

Schritt 1

Fahrer eines Autos mit Permanent-Allradantrieb müssen erst das mittlere Ausgleichsdifferential sperren, damit das Drehmoment nicht an dem Rad verloren geht, das keinen Grip hat. Sind die Achsen auf diese Weise fix verbunden (das entspricht beim Zuschalt-Allradantrieb dem aktivierten 4×4) geht im festgelegten Verhältnis (meist 50/50 Prozent) Antriebsenergie an jede Achse. Die Konsequenz: Fortan kann nun mindestens ein Rad pro Achse drehen. Hat aber auch an der zweiten Achse ein Rad Schlupf, ist mit diesem Schritt noch kein Mehr an Vortrieb zu erzielen.

 

Differentialsperre

Schritt 2

Die Hinterachs-Quersperre ist ein wirkungsvolles Werkzeug, so kräftig, dass sie auch ohne Vierradantrieb großen Nutzen entfalten kann: Wer mit einem Zuschalt-Vorderradantrieb unterwegs ist, kann deshalb auch zuerst die Hinterachse sperren, bevor er sich der zweiten angetriebenen Achse bedient. Das kann dann hilfreich sein, wenn die Traktion rechts-/linksseitig unterschiedlich ist, wie beispielsweise in diesem Foto, wo das rechte Hinterrad in der Luft dreht. In Kombination mit einem gesperrten Mittel-Differential drehen sich nun immer mindestens drei Räder in gleichem Maß.

 

Differentialsperre

Schritt 3

Das Differential der Vorderachse zu sperren, ist die Ultima Ratio. Ist diese Sperre ebenfalls aktiviert, drehen sich nun alle vier Räder in gleichem Maß. Durch die Lenkimpulse gibt es hier grundsätzlich höhere Unterschiede in den Radumdrehungen, gleichzeitig sind die Antriebswellen an Achskonstruktionen mit Einzelradaufhängung oft weniger robust ausgelegt als an der Hinterachse. Der Fahrer spürt diese Belastung durch ein enorm erschwertes Lenkverhalten, moderne Fahrzeuge mit elektrischer Lenkung filtern diesen Effekt, sodass dem Fahrer diese wichtige Rückmeldung verloren geht.

 

Differentialsperre

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