Stellplatz-Apps – zwischen Freiheit und Verantwortung

Stellplatz-Apps sind bei Reisenden sehr beliebt. Mit ihnen lassen sich schnell und einfach Stellplätze für die Nacht finden. Doch nicht alle freuen sich über die Auswirkungen, die diese Apps haben

Auf die Suche nach einem Stellplatz begeben oder eine App verwenden? Viele entscheiden sich für den leichten Weg

Hermann Maislinger ist sauer: „Für mich ist das der Horror. Am liebsten würde ich jeden abschleppen lassen!” Der Hütten­wirt aus dem Raurisertal in Österreich sitzt in seiner urigen Gaststube auf einer dunklen, von vielen Gästen blank gescheuerten Holzbank und redet sich in Rage. Seine Hütte liegt im wildromantischen Talschluss, Ausgangspunkt unzähliger Wanderungen und Skitouren in den Nationalpark Hohe Tauern. Wer nicht von seiner oder einer der benachbarten Hütten starten will, kann die Umgebung vom Wanderparkplatz aus erkunden. Und genau hier liegt das Problem.

„Der Parkplatz war im Sommer bummvoll mit Campern”, knarzt er in seinem österreichischen Dialekt. „Die parken einfach irgendwohin, leeren ihren Müll oder ihre Klos hier aus.” Das Campen ist auf diesem Parkplatz verboten. Im kleinen, ruhigen Raurisertal zeichnet sich gerade ein Konflikt ab, der mit dem Campingboom der letzten Jahre in vielen vom Tourismus geprägten Regionen aufgetreten ist: Die Gratwanderung zwischen Freiheit und Reglementierung, zwischen Lebensgefühl und Verantwortung. Oder, wie Hermann Maislinger es ausdrückt: „Warum kommt der Camper her und macht Anarchie, wo wir doch klare Regeln haben?”

App für den Notfall

Im Zentrum der Diskussion: Apps wie park4night oder iOverlander, die das Finden von geeigneten Übernachtungsplätzen erleichtern. Der Download ist kostenlos und mit einem Klick haben Benutzer Zugriff auf tausende Stellplätze und Parkmöglichkeiten, legale wie illegale, Wald, Wiese, Wandererparkplatz.

Der Platzhirsch in der europäischen Campingszene ist ohne Zweifel park4night. Die App wurde mittlerweile über zwei Millionen mal heruntergeladen, knapp 170.000 Plätze haben die Nutzer eingestellt. Einige der beliebtesten Plätze haben Dutzende Bewertungen. Der Gebrauch von Stellplatz-Apps ist in der Szene allerdings auch zunehmend umstritten. Viele Camper und Vanlifer nutzen sie zwar, aber wenige haben Gutes über sie zu sagen.

„Nur im Notfall”, hört man häufig, oder auch: „Um zu schauen, wo man nicht hinfährt”, ist ­eine häufige Haltung, wenn man Nutzer fragt, warum sie auf Stellplatz-Apps zurückgreifen – dicht gefolgt vom Argument der „Zeitersparnis”. Menschen wie Hermann Maislinger sind diese Programme ein Dorn im Auge: „Es kann doch nicht sein, dass irgendwer ­eine App programmiert, über die unser Tal quasi in fremde Hände kommt”, ereifert sich der Hüttenwirt.

Der Brite Nathen Fitchen ist Dauervanlifer und hat im Sommer 2019 die Initiative „responsible vanlife” ins Leben gerufen

Darüber, welchen Anteil die Apps tatsächlich da­ran haben, dass legale wie illegale Stellplätze zusehends vermüllen und der Respekt vor lokalen Regeln und Gegebenheiten sinkt, lässt sich jedoch diskutieren. Während park4night für diesen Artikel zu keiner Stellungnahme bereit war, verweist iOverlander auf die Verantwortung der einzelnen Nutzer. „Wir haben zwar hin und wieder illegale Stellplätze auf unserer App, aber nur, weil wir uns dessen nicht bewusst sind”, erklärt Kobus Mans, einer der führenden Moderatoren von iOverlander. Nicht jeder, der bei dem Portal angemeldet sei, respektiere die Richtlinien von iOverlander, laut denen illegale Plätze, das Kampieren auf Privatgrund oder neben Verbotsschildern genauso tabu sind wie Tipps zur Umgehung von Gebühren. „Wir lehnen pro Monat rund zehn Prozent aller neu erfassten Stellplätze ab, weil sie nicht unseren Richt­linien entsprechen”, so Kobus Mans.

Ein Team aus freiwilligen Moderatoren, die die Einträge kontrollieren, und ein ­Appell an die User sollen illegales Campen und rüpelhaftes oder umweltschädliches Verhalten verhindern. Also alles nur eine Frage der Verantwortung des Individualcampers? Eine zu einfache Erklärung, wie ­Peter Eich findet. Deshalb hat Eich im Jahr 2018 eine Alternativ-App ins Leben gerufen. StayFree soll die Teilnehmer spielerisch dazu motivieren, einen Platz sauberer zu verlassen als sie ihn vorgefunden haben.

„Wir können nicht verhindern, dass die Leute freistehen”, sagt er, „das ist Teil der Industrie.” Die Zahl der Neuzulassungen von Camping- und Reisemobilen ist bereits zwischen 2008 und 2018 um 49 Prozent gestiegen, die in Reisemobilen verbrachten Nächte haben durch Leihfahrzeuge und Vermietungen sogar noch mehr zugenommen. Die Zahl der Stell- und Campingplätze dagegen ist in Mitteleuropa im selben Zeitraum aber fast konstant geblieben.

Die Menge an Verbotsschildern nimmt zu, auch in Norwegen. Vor einigen Jahren waren sie noch nicht nötig

Das ist der Kern des Problems, wie Peter Eich findet. Denn die Hersteller werben massiv mit Bildern von Reisemobilen, die frei in der Natur stehen: Die Reisenden allein auf weiter Flur, Lagerfeuerromantik, Freiheit als emotionales Produkt. „Die Branche verkauft ein Versprechen, das sie gar nicht einlösen kann”, analysiert er. Wenn immer mehr Menschen immer mehr Nächte in Reisemobilen verbringen würden, gleichzeitig das Angebot an legalen Übernachtungsmöglichkeiten jedoch gleich bleibt, werde dieser Druck seiner Ansicht nach automatisch sein Ventil im Freistehen finden. Bereits vor dem Sommer 2020 waren 36 Prozent aller Übernachtungen in Reisemobilen deutschlandweit „Freisteher-Übernachtungen”, weiß Eich. Tendenz: steigend.

„Die große Freiheit gibt es nicht, das ist eine Illu­sion”, befindet auch Hüttenwirt Hermann Maislinger. Ihm geht es jedoch vor allem ums Prinzip, wie er mehrmals betont. Wirtschaftlich trage er durch die vielen Camper keinen Schaden davon, im Gegenteil: „Die kommen ja zu mir zum Essen. Mein Wirtshaus war im Sommer immer voll.” Er will neben einem sauberen Parkplatz vor allem eins: Gerechtigkeit. „Die Gemeinde verdient Geld durch Tourismus. Wildcamper müssen auch was beitragen und sich an die Regeln halten”, fordert er.

Nachhaltiges Campen

Dass das Problem tiefer geht, als nur bis zur manchmal gedankenlosen Verwendung einer App, findet auch Nathen Fitchen. Der Brite ist seit fünf Jahren Dauer­vanlifer und hat im Sommer 2019 die Initiative „responsible vanlife” ins Leben gerufen, die sich für umweltfreundliches, nachhaltiges und ressourcen­schonendes Reisen und Campen einsetzt. „Als immer mehr Menschen sich der Vanlife-Bewegung angeschlossen haben, haben wir festgestellt, dass Müll und ein bewusster und nachhaltiger Umgang mit Ressourcen zum Thema wurden.”

Nathen Fitchen tourte damals mit seiner Partnerin durch Neuseeland. Dort habe er häufig beobachtet, dass Reisende in gemieteten Campern Müll hinterlassen und die Stellplätze verschmutzt hätten. Deshalb appelliert er auch an die Wohnmobilvermieter: Sie müssten Verantwortung übernehmen und ihre Kunden zum verantwortungsvollen Reisen anhalten.

In der Community hat er damit einen Nerv getroffen, Tausende von Vanlifern und Campingreisenden teilen über den Hashtag #responsiblevanlife ihre Tipps und Erfahrungswerte. Aber Fitchen wirbt auch um Verständnis und Respekt für seinen Lebensstil. „Es gibt einen Teil der Gesellschaft, der sich für dieses Leben entschieden hat, und das sollte respektiert werden.” Verbote lösen das Problem seiner Meinung nach nicht, Gesetzgeber und Einheimische sollten das Bedürfnis der Community akzeptieren.

Camper und Einheimische werfen ihren Müll in die Natur. Gut, wenn es verantwortungsbewusste Menschen wie Endres und Scheel gibt. Seit sie im Camper verreisen, machen sich Jeremias Endres und Claudia Scheel viele Gedanken um nachhaltiges Reisen

Gegenseitiges Verständnis zwischen Einheimischen und Campern, das Finden eines Modus Vivendi, mit dem alle Beteiligten einverstanden sind und der auf keiner Seite zu Frust führt, scheint eine Aufgabe zu sein, der sich die Community und die Urlaubsregionen stellen müssen.Wie beide Seiten aufeinander zugehen können, haben beispielsweise Jeremias Endres und Claudia Scheel im letzten Jahr gezeigt. Im Rahmen einer Europa­reise kampierten die beiden längere Zeit an ­einem Strand auf Sizilien.

„Seitdem wir Vanlifer sind, machen wir uns sehr viel Gedanken über nachhaltiges Reisen”, erzählen die beiden. Auf Sizilien fiel ihnen auf, dass das Müllproblem besonders groß war. „Aber nicht nur durch Camper”, betont Claudia Scheel, „wir haben auch Einheimische gesehen, die Müll einfach in die Natur geworfen haben. Außerdem liegt an den Stränden viel Industrieplastik aus der Landwirtschaft rum.”

Kurzentschlossen krempelten die beiden die Ärmel hoch und begannen, den Strand systematisch vom Müll zu befreien. Irgendwann wurden Einheimische auf die beiden Müllsammler aufmerksam, man kam ins Gespräch und traf sich bald jeden Sonntag zum gemeinsamen Strand-Clean-up. Bis zu 30 Einheimische unterstützten die beiden Reisenden, auch die Gemeinde zog mit und organisierte einen extra Mülltransport, der die vollen Säcke am Sonntagnachmittag am Strand abholte.

Campingboom in Norwegen

Eine Region, die bereits vor ein paar Jahren dazu gezwungen war, sich mit ständig wachsenden Touristenzahlen auseinanderzusetzen, sind die Lofoten. Überrollt vom eigenen Marketingerfolg sah sich die Inselgruppe in Nordnorwegen 2017 mit einem wahren Touristen­ansturm konfrontiert. „Wir können nicht noch mehr verkraften”, erklärte damals der Bürgermeister von Flakstad, als auf die 24.000 Einwohner der Inseln zur Hauptreisezeit rund eine Million Touristen kamen. Die meisten von ihnen mit Campern oder Reisegespannen.

Es fehlte vor allem an der notwendigen Infra­struktur: Entsorgungsmöglichkeiten für Mensch und Camper, Rastanlagen, Parkplätze. Bei den Einheimischen machte sich Frustration breit, vor allem Kinder hätten negativ auf überfüllte Strände und verstopfte Straßen reagiert, berichtet Line Samuelsen, die Tourismusmanagerin der Region Lofoten. Verbote habe man dennoch nicht erlassen wollen. Das Jedermannsrecht ist norwegisches Kulturgut und soll nicht reglementiert werden.

Die Stellplatz-App iOverlander ist weltweit sehr beliebt. Die Strände und Städte sind voll mit von Campern eingezeichneten Übernachtungsplätzen, nicht jeder davon ist legal oder sinnvoll

Außerdem ist ihr wichtig zu betonen: „Wir wollen Touristen hier.” Allerdings solche „mit Respekt für die Einheimischen und unsere Natur.” Apps wie park4night würden die Situation verschlimmern, ist Samuelsen überzeugt. Durch das Einstellen und Kommentieren von Plätzen ­entstehe ein Nachahmungseffekt. „Die Leute denken dann, es ist o. k., hier zu stehen, weil andere das auch schon gemacht haben.”Die Region hat in Zusammenarbeit mit Naturschutzorganisationen deshalb auf zwei Arten reagiert: Zum einen mit der Schaffung der notwendigen Infrastruktur, also Parkplätzen mit Toiletten und Entsorgungsmöglichkeiten.

„Wir können zwar nicht überall Mülleimer und Toiletten aufstellen”, erläutert Line Samuelsen, aber man sei bemüht, gewartete Stellplätze in der Nähe von beliebten Spots zu schaffen. Zum anderen wird das ergänzt durch eine „responsible marketing”-Kampagne, die Besucher auf diese Plätze lenken und ihnen vermitteln soll, welches Verhalten sich die Einheimischen von Touristen wünschen. „Travel ­advice in Lofoten” heißt eines der Videos, in dem die Kinder Leo und Sarah erzählen, was sie sich von Besuchern ihrer Region wünschen. „Heb dein Toiletten­papier auf” oder „Fahrt ein bisschen schneller”, fordern die Kinder. Die Videos sind auf Youtube jedoch kaum geklickt. Wirken die Maßnahmen also? „Ja”, sagt Line Samuelsen, die Situation werde besser. „Aber langsam. Es ist ein Prozess.”

In die App können auch Krankenhäuser und Supermärkte eingetragen werden

Gemeinsam statt gegeneinander

Ein Prozess, bei dem man im Raurisertal in Österreich noch am Anfang steht. Doch nicht jeder im Tal hat eine so schlechte Meinung vom Freisteher wie Hüttenwirt Maislinger. „Das sind keine schlechten Gäste”, stellt Robert Reiter, Amtsleiter der Gemeinde Rauris fest. „Nur wenn es überhandnimmt, wird es ein Problem.” Die Gemeinde reagiert auf den zunehmenden touristischen Druck zunächst mit einer Vergrößerung des Parkplatzes und dem Bau besserer Entsorgungs­möglichkeiten.

Eine Variante, mit der auch der Betreiber des einzigen regulären Campingplatzes im Tal, Ludwig Mayer, einverstanden ist. „Leben und leben lassen”, ist seine Devise. Im Umgang mit Freistehern und Falschparkern setzt er auf Deeskalation. „Ich red’ dann nett mit den Leuten und biete eine Alternative zum Parken. Manchmal kommen sie sogar noch auf ein Bier in mein Gasthaus.” Das ist sicher nicht die schlechteste Art, den Konflikt zu lösen.

Bis zu 30 Einheimische helfen Endres und Scheel beim Müllsammeln an Siziliens Stränden

 

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