Was habe ich da bloß angerichtet! Eigentlich wollte Papa in seinem Ruhestand doch nur mit einem Wohnmobil durch Europa fahren. Jetzt darf ich mir wöchentlich am Telefon anhören, für welche Tankgröße er sich entschieden hat oder warum es nun doch die Diesel- statt der Gasheizung werden soll. Kurz gesagt: Anstatt eines fertigen Campers hat er sich einen Lkw gekauft und baut den nun aus. Und vermutlich erlebe ich zurzeit genau das, was etliche Partner von Selbstausbauern gut kennen. Warum ich daran auch noch selbst schuld bin? Weil es da eine auffällige Parallele zu meinem Lebenslauf gibt.
Am 13. Februar 2017 hat Astrid Nissen ein Bewerbungsgespräch beim explorer, am 6. März schließt Rolf Nissen ein Abonnement des explorer ab – da habe ich an meinem ersten Arbeitstag noch nicht einmal den Stuhl warmgesessen. Drei Monate später stand dann für mich die erste „Abenteuer & Allrad” an – und plötzlich stand Rolf bei uns am Messestand. Da waren wir zwei Newbies also, überwältigt von der Szene und dem Angebot, und Papa sagte, so ein Pickup mit Wohnkabine sei doch eigentlich auch nicht verkehrt!
Dann ging es Schlag auf Schlag. Obwohl wir früher allenfalls mal mit dem Zelt an die Müritz gefahren sind, löste die Pickup-Idee schon bald ein Kastenwagen ab, und weil auch der nicht den Ansprüchen, ein komfortables Bett und ein vernünftiges Bad zu haben, gerecht wurde, musste es eben eine Nummer größer sein. Bei einem Lkw hätte man mit ordentlich Solar auf dem Dach und einem starken Inverter sicherlich auch genug Strom, damit sich die Freundin nach dem Duschen die Haare föhnen kann. Hilfe – mein Job hat meinen Papa infiziert!
Mein Papa und Lkw — passt das?
Als Basisfahrzeug stand zunächst ein Iveco 90-16 hoch im Kurs, kein Wunder, er ist derzeit das Trendmobil unter Neueinsteigern. Zwar hätte die Fahrerkabine gekürzt werden müssen … doch dann tauchte im August 2018 ein gut gepflegter Mercedes 917 AK auf der Bildfläche auf. Zugegeben, als ich hörte, dass mein Vater einen Lkw gekauft hat, konnte ich mir das zunächst nicht so recht vorstellen. Bisher kannte ich ihn nur mit deutlich spritzigeren Fahrzeugen, auch ein Mercedes stand bei uns nie vor der Haustür. Als Jugendlicher fuhr er mit seinen Freunden mit dem Mofa zum Angeln – und nun will er um die Ostsee tuckern. Mein Papa als Trucker – passt das?
Und wie das passt! Anders als ich dachte, ist das alles gar kein Neuland für ihn. Technikbegeistert und auch handwerklich begabt (er baute seinen ersten Computer selbst), half er früher im Betrieb seiner Eltern, einer Schlosserei, tatkräftig mit. Als Führerscheinneuling (Klasse 3, der Glückspilz) durfte Rolf direkt eine Runde mit Herbert drehen, einem Düdo mit Pritsche.
„Wenn ich Lkw fahre und die Sonne scheint, denke ich mir oft: jetzt könnte ich direkt weiterfahren”
43 Jahre sind seitdem vergangen. Und während der ein oder andere mit Ende 50 noch nicht so recht weiß, was er mit all der bevorstehenden freien Zeit als Rentner anfangen soll, hat mein Papa diese Sorge nicht mehr. Nachdem er schon beim Auto in die Vollen griff, legte er bei der Werkstatt gleich nach: Statt sich irgendwo im Umkreis der eigenen vier Wände eine Halle oder Scheune für ein paar Monate zur Untermiete zu suchen, kaufte sich mein Papa gleich ein ganzes Gerätehaus. Im Nirgendwo, Anfahrtszeit: gut eine Stunde.
Bastelparadies in der Einöde
Bis vor einigen Jahren gehörte das freistehende Gebäude noch der ortsansässigen Feuerwehr, bis sie ihren Dienst einstellen musste, es fehlte an Mitgliedern. Kein Wunder, scheint das 72-Seelen-Dorf auch heute wie ausgestorben. Nur donnerstags, wenn der Fleischerwagen mit seiner schellenden Klingel aus dem Nachbarort vorbeigesaust kommt, ist etwas Leben auf der Dorfstraße. An den anderen sechs Tagen sind nur die Ziegen im Garten der Nachbarn stille Beobachter, wenn nebenan wieder geschraubt und gebohrt, gemessen und rangiert wird: Der gelbe Mercedes 917 AK mit seinem großen, zurzeit noch halb leeren Würfel auf der Ladefläche passt nur haarscharf durch das Rolltor. Echt: haarscharf!
Klar, dass die freistehende Werkstatt der Traum eines jeden Handwerkers ist: Es gibt eine massive Standbohrmaschine, einen großen Kompressor für den Nadelentroster, zum Lackieren und für den Druckluftschrauber, dazu eine Tischkreissäge, eine Tauchkreissäge und – ganz wichtig – einen zusätzlichen Heizlüfter für die verfrorene Tochter an kalten Herbsttagen.
Fast 20 Stunden pro Woche verbringt mein Vater nun in seinem Feuerwehrhaus, noch einmal genauso viel Zeit bei der Recherche am heimischen Schreibtisch und mit unserem wöchentlichen Update am Telefon. Er ist nicht in den Ruhestand gegangen, er hat einfach nur den Arbeitsplatz gewechselt.
Als äußerst kontaktfreudiger Mensch fand er auch im Dorf sofort Anschluss: Eine Nachbarin hat ein Auge darauf, wenn sich Fremde dem Feuerwehrhaus nähern und hat Tipps parat, wo man im angrenzenden Wald Pilze finden kann. Ein anderer Nachbar half, im Garten Sand aufzuschütten, um die Unebenheiten im Boden auszugleichen. Und damit der Bauer mit seinem Traktor nicht immer die Abkürzung zum Acker über das Grundstück nimmt, grenzt nun eine kleine Rosenhecke den Garten ein. Als ob nicht schon der Lkw mehr als genug Arbeit machen würde.
Aber auch beim Lkw-Bauprojekt kommt ihm seine aufgeschlossene Art zugute. Sei es im Gespräch mit Freunden und Bekannten, die sich selbst ein Fahrzeug ausbauen, oder beim Austausch in einschlägigen Foren – bevor es dann beim Stammtischtreffen richtig ins Detail geht. In kürzester Zeit ist mein Papa so tief in die Materie eingetaucht, dass sich auch unsere Gespräche nachhaltig veränderten.
Astrid, was denkst du?
Seit das Fahrzeug im Sommer 2018 auf dem Hof stand, dreht sich jedes Telefonat, das wir führen, um den Wagen, meist um die Grundrissplanung. Nach dem anfänglichen „Na, was gibt’s Neues?”, schwenkt das Gespräch jedes Mal auf kurzem Weg zu: „Ich hab mir noch mal Gedanken zum Grundriss gemacht.” Gefühlt 35-mal. Nicht nur Papa ist froh, dass der Grundriss des Bades nun feststeht – die letzte Baustelle in der 4,80 Meter langen Wohnkabine.
„Ich hab mir noch mal Gedanken zum Grundriss gemacht …”
Das Bad kommt nun direkt in die Front der Wohnkabine, von dort aus kann man durch eine Luke ins Fahrerhaus krabbeln. Obwohl Rolf kein großer Koch ist, plant er für die Arbeitsfläche in der Küche immerhin fast zwei Meter ein. Sie grenzt auf der Fahrerseite an die Rückwand des Bades. Auf der Beifahrerseite sind bereits das Hubbett und darunter zum Teil die Dinette montiert.
Elektrotechnik für Profis
Was vielen beim Ausbau ihres Reisemobils ein Dorn im Auge ist, ist Papas Steckenpferd: Als studierter Elektrotechniker macht er sich gern Gedanken um all die nötige Elektronik – und über das Nötige hinaus. Eine Leidenschaft, die er leider nicht vererbt hat. So hätte ich vermutlich, wenn überhaupt, ein normales Hubbett geplant, meinem Vater genügte das nicht. Also ist in der Wohnkabine nun ein Hubbett mit Neigungsausgleich verbaut, falls das Auto nachts einmal schräg stehen sollte – wer braucht schon Auffahrrampen? Und so funktioniert es: Ein mit 230 Volt angetriebener Rollladenmotor, in der Heckgarage versteckt, sorgt fürs Grobe, also dafür, dass sich das Bett an den Führungsschienen bis zu 1,20 Meter senkt und hebt. Vier Linearmotoren an den jeweiligen Ecken des Bettes sind dann für die Feinarbeit, den Neigungsausgleich, zuständig. Puh, ganz schön viel Theorie. Direkt fühle ich mich in die 11. Klasse zurückversetzt, als er geduldig versuchte, mich (erfolglos) für Physik zu begeistern.
Und das Hightech-Bett ist erst der Anfang! Das Ersatzrad ist nicht etwa außen am Heck der Kabine befestigt, denn „diese Ersatzradhalter sind einfach zu schwer und den Raum darüber kann man auch nur noch bedingt nutzen.” Also kommt das Ersatzrad in die Heckgarage. Aber wie bekommt man es da raus? Natürlich: elektrisch. Das Seil einer kleinen Winde, die außen am Hilfsrahmen angeschraubt ist, wird von der einen Seite der Heckgarage einmal über die gesamte Kabine gelegt, die Winsch hebt dann den Reifen heraus und das platte Rad wieder in die Kabine hinein. Zuvor habe ich schon von den wildesten Ideen erfahren, wo man den 14,5-R20-MPT-Reifen in der Kabine unterbringen könnte. Da ist die Heckgarage doch eine vergleichsweise vernünftige Lösung. Mittlerweile ist klar – das Seilwindenprinzip funktioniert.
Doch egal, wie und wo man so ein Ersatzrad montiert, das Gewicht bleibt, und damit die größte Herausforderung: Der 917er soll unter 7,5 Tonnen bleiben. Mit der Leerkabine standen vor einiger Zeit 5,7 Tonnen auf der Waage, es ist also noch Reserve. Wenn Rolf weiterhin so vorausschauend und präzise plant und arbeitet, bin ich mir sicher, dass er die Gewichtsgrenze nicht reißen wird.
Gott sei dank, es passt alles!
Gestern Abend habe ich mal wieder einen Anruf bekommen. „Ich bin richtig begeistert, wie das Bad nun geplant ist!” Ich bin beruhigt. Und sehr stolz auf meinen Papa. Nicht nur, weil er ohne Rückfahrkamera in das enge Feuerwehrhaus einparken kann. Sondern auch, weil er nun seinen idealen Grundriss gefunden hat. Bis zum nächsten Anruf.