Das 26. Auto, das auf den Straßen Shanghais zugelassen wurde, war ein Steyr 100: 32 PS, vier Zylinder, 1.360 Kubikzentimeter Hubraum. Ein Serienfahrzeug. Am Steuer der Tiroler Max Reisch, der sein Expeditionsmobil 1936 eigenhändig von Österreich bis an das, nach damaligem Verständnis, befahrbare Ende der Welt lenkte. „Gewonnen! Asien ist im Auto durchquert“, schreibt der Reisende später in seinem Buch Im Auto um die Erde über diesen Moment. Der Tacho zeigt mehr als 23.000 Kilometer, die der 24-jährige Max Reisch und sein Beifahrer Helmuth Hahmann auf dem Landweg nach China zurückgelegt haben. Für die beiden Österreicher ist die Ankunft in der Millionenstadt ein Triumph. Seit mehr als 17 Monaten sind sie unterwegs, auf den Spuren Sven Hedins immer weiter nach Osten. Ihre Aufgabe: Die Erstdurchquerung des damals als „Hinterindien“ bekannten Gebiets auf dem südostasiatischen Festland. Der Steyr 100 ist die damalige Vorzeigelimousine der Steyr-Daimler-Puch AG, die die Reise sponsert. Deren Generaldirektion hat einen unmissverständlichen Auftrag: „Herr Jedermann muss das Gefühl haben, auch er könne mit einem Steyr 100 nach China fahren.“
Ein Gefühl, das sich bis heute in der Szene hält. Unzählige Reisende sind in Expeditionsfahrzeugen der Marke Steyr in der gesamten Welt unterwegs. Mit Max Reisch und Helmuth Hahmann teilen sie nicht nur den Fahrzeughersteller, sondern auch viele der klassischen Herausforderungen. Selbige sind in den letzten 90 Jahren im Kern gleich geblieben. Max Reisch und sein Beifahrer kämpfen mit Wetterkapriolen, schlechten Straßen, Visa-Bestimmungen und natürlich Pannen. Der Spezialkurs, den Helmuth Hahmann vor der Abreise bei den Steyr-Werken absolviert, soll sich auszahlen. Ganze drei Mal bricht unterwegs das Differential.

In der syrischen Wüste tragen die beiden Abenteurer Gesichtsmasken gegen die Hitze, fahren den Steyr immer wieder fest. Als Anfahrhilfe dienen Gummimatten. Das Auto muss häufig mühselig ausgegraben werden, oft mit Unterstützung der Beduinen. Im Notfall hilft nur, das Gepäck abzuladen und hinterherzutragen. Überhaupt, das Gepäck: Für Max Reisch der Endgegner auf dieser Reise. „Unser Ballast war die Ursache allen Übels und in dieser Erkenntnis sagte ich schließlich: ‚Wir müssen uns bescheiden!’“ Kein Wunder, befinden sich im Gepäck der Österreicher doch sogar zwei Smokings (die auf einer Party in der irakischen Wüste tatsächlich zum Einsatz kommen). In Afghanistan werden die beiden von einer Panzereskorte begleitet, im Dschungel des heutigen Myanmar treffen sie häufig auf Einheimische, die noch nie zuvor ein Automobil gesehen haben. Dementsprechend ist die Infrastruktur vor Ort nicht auf Fahrzeuge ausgelegt. Für eine Etappe auf dem Mekong muss der Steyr komplett zerlegt werden, damit er auf ein Boot verladen werden kann.
Für Max Reisch, der mit dieser Reise einen wesentlichen Beitrag zur Reputation des Steyr als Reisemobil geleistet hat, ist es die erste Tour mit einem Automobil. Nur kurz zuvor rumpelte er noch mit einem Puch-Motorrad durch Nordafrika, den Nahen Osten und Indien. Sein Fazit fällt wenig überraschend aus. „Um fremde Landschaften zu besuchen, dafür ist das Kraftfahrzeug das ideale Verkehrsmittel.“
„Ein Stück Automobilgeschichte“, nennt man seinen Steyr am Tiroler Timmelsjoch. Das Motorradmuseum Crosspoint in Hochgurgl, direkt neben der Mautstation zur Passstraße, widmet Max Reisch, seinen Fahrzeugen und Reisen eine kleine Sonderausstellung. Zu sehen gibt es Ausrüstung, Film- und Fotodokumentation, vor allem aber seine Expeditionsmobile. Da es dem Tiroler immer ein Anliegen war, diese zu pflegen und zu erhalten, sind in der Ausstellung keine Repliken zu sehen, sondern Originale.


Der Mensch Max Reisch
In Österreich hat man ein Faible für Titel und Superlative, von beidem hat Max Reisch einige zu bieten. Die Ausstellung am Timmelsjoch bezeichnet ihn als Schriftsteller, Handelskaufmann, Verkehrspionier, Motorsportler, Weinherr, Architekt, Konstrukteur und Erfinder. Er besitzt außerdem einige Ehrentitel, unter anderem des Bundeslandes Tirol. Trotzdem sind damit noch nicht alle Facetten dieses umtriebigen Tirolers abgedeckt. Vor allem ist er ein Abenteurer, der seine Faszination fürs Reisen, für fremde Länder und Kulturen mit anderen teilen will. Schon früh publiziert er über seine Reisen, hält Vorträge, zeigt Bilder. Diese Art von Völkerverständigung praktiziert er übrigens in beide Richtungen. In der Wüste hält Helmuth Hahmann einen Moment auf Film fest, in dem Max Reisch, umringt von Beduinen, ein Reisegrammofon auspackt und Tiroler Volksmärsche auflegt.

Nicht ganz in das Image des lupenreinen und toleranten Weltbürgers passt allerdings seine Tätigkeit während der Kriegsjahre. In den Jahren 1942 und 1943 diente er unter Erwin Rommel im Deutschen Afrikakorps. Er war dort zuständig für die Wartung und Instandhaltung hunderter Fahrzeuge und nutzte diese Zeit laut des von seinem Sohn Peter Reisch betriebenen „Reisch-Orient-Archivs“ für eigene Expeditionen in die libysche Wüste. Über seine Zeit beim Afrikakorps und seine Flucht angesichts der drohenden deutschen Niederlage schreibt Max Reisch ebenfalls ein Buch, Mausefalle Afrika, das mittlerweile nur noch in der englischen Übersetzung verfügbar ist. Der Frage, wie einer, der aus seiner Faszination für den Nahen und Mittleren Osten sowie für die dort lebenden Menschen nie einen Hehl gemacht hat, den Dienst im Afrikakorps mit seinem Gewissen vereinbaren konnte, gehen weder die Ausstellung am Timmelsjoch noch das „Reisch-Orient-Archiv“ nach.
Die Reise nach China mit dem Steyr, die in Shanghai flugs zur Weltumrundung erweitert wird, ist jedenfalls bei Weitem nicht die letzte, die Max Reisch in einem Fahrzeug unternimmt. Aber sie ist seine berühmteste. Nach dem Krieg folgen weitere Expeditionen in die Wüste und ans Nordkap. Ende der 40er-Jahre entwickelt und konstruiert Max Reisch eines der ersten Wohnmobile, das von den Jenbacher Werken gemäß seinen Vorstellungen gebaut wird: Der Jenbacher Gutbrod, Typ Atlas 800, 18 PS und 800 Kubikzentimeter Hubraum. Es verfügt sogar über ein Hochdach inklusive Dachfenster. Damit reist er nach Saudi-Arabien, ein Königreich, das damals noch ungleich schwerer zu besuchen war als heutzutage. Aber der Österreicher wird sogar vom König persönlich am Hof empfangen, eine Ehre, die nur sehr wenigen Nicht-Moslems zuteil wird. Gemeinsam mit seiner Frau bereist er später Nordafrika in einem Opel mit Dachzelt und einem Wohnwagen.

Reisen für Jedermann
Seine Vision ändert sich in all diesen Jahren und durch all diese Erfahrungen nicht: Expeditionsreisen für Jedermann erlebbar zu machen. Dabei denkt er früh daran, andere an seinen Erlebnissen teilhaben zu lassen. Bereits von seiner ersten Indien-Reise mit dem Motorrad existiert Film- und Bildmaterial, die Weltumrundung mit dem Steyr wird von Beifahrer Helmuth Hahmann detailliert festgehalten. Diese Aufnahmen, Bilder und Einblicke in fremde Länder sind der größte Schatz, den Max Reisch von seinen Reisen mitbringt. Viele der Bräuche und Kulturen, die Hahmann mit seiner Kamera einfängt, gibt es in dieser Form heute nicht mehr. Seine Aufnahmen zeigen unter anderem die Padaung-Frauen an der Grenze von Thailand und Myanmar, die mit goldenen Ringen ihre Hälse scheinbar künstlich verlängern. Schwimmer in Afghanistan, Beinruderer oder singende Steuereintreiber: Immer wieder sind es die Menschen und Bräuche vor Ort, die Max Reisch dokumentiert.
Bald ist er regelmäßiger Vortragender an der Urania in Wien. Er stellt das Reisen in diese Regionen als einfach und unkompliziert dar, hält Vorträge über die richtige Vorbereitung und fungiert später sogar als Leiter von Gruppen-Expeditionsreisen. Damit ermöglicht er es in seinen letzten Lebensjahren tatsächlich jeder und jedem, Ziele wie die Zentralsahara zu erreichen. Max Reisch ebnet dem Fernreise-Massentourismus den Weg, bringt unzählige Menschen an Orte, die sie allein vermutlich nicht zu Gesicht bekommen hätten. Er stirbt 1985 dort, wo er geboren wurde: in Kufstein in Tirol.

Der Weltumrundungs-Steyr steckte übrigens alle Reisestrapazen erstaunlich gut weg. Den beinahen Todesstoß versetzten ihm weder die Dünen der Sahara noch der laotische Dschungel, sondern ein deutscher Arzt. Nach der Weltumrundung stieß er in Salzburg frontal mit Max Reisch im Steyr zusammen. In Österreich herrschte damals noch Linksverkehr, der Deutsche vergaß diesen Umstand jedoch und konnte nicht mehr ausweichen. Ehrensache, dass das weit gereiste Gefährt repariert und nicht verschrottet wurde. Der Steyr 100 ist auch heute noch so gut in Schuss, dass er sogar ein „Pickerl“ (die Prüfplakette des österreichischen TÜV) von 2014 auf der Windschutzscheibe kleben hat. Mit einer Erstzulassung des Jahres 1935 wirklich eine beachtliche Leistung.
Info: Motorcycle Museum
Die dauerhafte Sonderausstellung Sammlung und Forschungsreisen Max Reisch ist im Motorcycle Museum am Top Mountain Crosspoint in Tirol untergebracht. Es liegt auf rund 2.200 Metern in Hochgurgel, am Beginn der Timmelsjoch Hochalpenstraße (mautpflichtig). Das Museum ist ohne Maut erreichbar.
Es ist täglich von 10 Uhr bis 17:00 Uhr geöffnet, der Eintritt beträgt 15 Euro für Erwachsene. Eine Teileintrittskarte nur für die Sonderausstellung zu kaufen, ist nicht möglich.
crosspoint.tirol/de