Jungen Menschen helfen, die an Krebs erkrankt sind – das ist es, was ich will“, beschloss Andrea Voß vor neun Jahren. Zu diesem Zeitpunkt hatte sie selbst gerade ihren zweiten Kampf gegen den Krebs gewonnen, die Reha erfolgreich abgeschlossen. Mit nur 29 Jahren erhielt sie zum ersten Mal die Diagnose Lymphdrüsenkrebs. Nicht unbedingt das Alter, in dem man mit einer solchen Erkrankung rechnet – drei Jahre später kehrte der Krebs zurück. Unterstützung? Die gab es in dieser Zeit nicht, zumindest nicht von offizieller Seite. „Sobald du über 18 bist, wirst du alleingelassen, vor allem finanziell“, machte Voß die enttäuschende Erfahrung. Für Kinder und für über 50-Jährige gebe es weitaus mehr Projekte. Dabei sollte es nicht bleiben.
Durchatmen
Am Ende der zweiten Reha hängte die lebensfrohe Frau aus Willich ihren Job an den Nagel, denn inzwischen hatte sie festgestellt, dass sie sich sozial engagieren möchte. „Ich war unglücklich bei meiner Arbeit, ohne es zu merken. Ich denke, viele Menschen brauchen so einen Wink, um zu erkennen, wo sie eigentlich stehen wollen.“ In den nächsten Jahren organisierte sie für junge Krebskranke Konzertkarten und gründete schon bald den Verein Wir können Helden sein e.V. Damit möchte sie jungen Erkrankten die Möglichkeit bieten, zwischen den Chemotherapien oder im Anschluss daran wieder Kraft zu tanken und Abwechslung zum Krankenhausalltag zu bekommen. Die heute 42-Jährige fand sogar Sponsoren für Kurzurlaube, etwa den Aufenthalt in einer Ferienwohnung an der Ostsee, den Stefanie Tomczak bei einer Tombola gewann. Mit 26 Jahren bekam die Leipzigerin ebenfalls die Diagnose Morbus Hodgkin, Lymphdrüsenkrebs, gestellt. Das Wochenende an der Ostsee direkt nach dem Ende ihrer Chemotherapie tat ihr so gut, dass sie unbedingt mithelfen wollte. „Ich hatte zwar kein Geld, aber ich bin Marketingfachfrau und konnte Andrea meine Expertise anbieten.“
Was die beiden Frauen außerdem verbindet, ist die Liebe zum Camping. Zwischen ihren Chemos fuhr Andrea Voß mit dem Auto und einem Zelt ans Meer. Für diese Art zu reisen entschied sich auch Steffie Tomczak, allein ihres Hundes wegen. Campen, das bedeutet für sie beide Freiheit, Spontaneität und Flexibilität. Sie lieben die Möglichkeit, entscheiden zu können, ob sie an einem Ort bleiben oder weiterfahren möchten. Dieses Gefühl wollen sie seit 2019 mit ihrem gemeinsamen Projekt Heldencamper vermitteln. Junge Krebspatienten im Alter von 18 Jahren bis Anfang 40 sollen die Möglichkeit bekommen, während oder nach ihrer Behandlung mit einem ausgebauten Camper für einige Tage zu verreisen, um durchzuatmen und andere Eindrücke wahrzunehmen. Abstand zu dem fremdbestimmten Krankenhausaufenthalt zu bekommen, sei in dieser Zeit besonders wichtig. Ein klassischer Tapetenwechsel. „Urlaub ist wichtig, auch wenn es nur mal ein langes Wochenende raus ist“, findet Andrea Voß. Der Sinn hinter dem Projekt ist, sich zu erholen und die psychische Belastbarkeit wiederherzustellen.
Neu beginnen
Aber warum braucht es dafür einen ehrenamtlichen Verein, der das finanziell ermöglicht? „Viele der jungen Erkrankten verlieren ihre Jobs, weil sie gerade in der Probezeit, im Praktikum oder Studium sind und keine Rücklagen aufbauen konnten. Man kam gerade in eine Phase, in der man sich die Selbstständigkeit aufbaut, und wird dann doch wieder abhängig“, erklärt Tomczak. Doch selbst wenn man eine Festanstellung hat, reicht das Krankengeld oftmals nicht für solche Extratouren aus. Was viele nicht wissen ist, dass diverse krankheitsbedingte Kosten von den Krankenkassen gar nicht oder nur zum Teil übernommen werden. Dazu gehören etwa eine neue Matratze oder eine Heizdecke, weil die Knochen schmerzen. Echthaarperücken – die im Vergleich zu künstlichen nicht kratzen – kosten schnell mal über 1.000 Euro. Hinzu kommen Medikamente, Nahrungsergänzungsmittel oder Kosten von rund 5.000 Euro für einen Eingriff, wenn man seine Fruchtbarkeit trotz der Chemo beibehalten will. Bei all diesen Ausgaben ist Urlaub das Allerletzte, was man bezahlen kann. Und da setzen die Heldencamper an.
Den Grundstein legte damals ein Renault Master namens Hope, der nach einem Unfall in Frankreich leider verschrottet werden musste. Seitdem gehören ein VW T5 und ein Dacia Dokker mit Dachzelt zur kleinen Flotte des Vereins. Auf einem Campingplatz im Münsterland stehen zudem zwei liebevoll eingerichtete Wohnwagen für diejenigen, die sich eine Autofahrt körperlich nicht zutrauen. Diese baute das kleine Team mit weiteren Ehrenamtlichen zu gemütlichen Oasen aus.
„Es erwartet keiner, dass man in dem Alter an Krebs erkrankt. Das passt nicht zum Alltag“
Mithilfe von Spenden bekam der T5 namens Cori einen professionellen Ausbau von der Bayerischen Bus Manufaktur. Dass der Camper Stehhöhe hat, sei besonders für die Reisenden wichtig, die durch ihre Medikamente von Rückenschmerzen geplagt sind. Auch aus diesem Grund investierte der Verein viel Geld in eine sehr gute Matratze und, was natürlich auch nicht fehlen durfte, eine Standheizung. Denn viele Helden nehmen sich die Reise für die Zeit nach der Behandlung vor. Helden, das sind für die beiden Frauen alle, die eine Erkrankung durchmachen, egal welcher Art. Sie seien Helden, weil sie etwas durchgestanden hätten, was sie eigentlich nicht wollten, aber mussten – das habe weder mit Kraft noch mit Mut zu tun.
Eine von ihnen ist Julia Friedrich. Vor zwei Jahren, mit 24, erkrankte sie an Brustkrebs, ausgelöst durch einen seltenen Gendefekt. Gemeinsam mit ihrem Freund reiste sie im Anschluss an die Therapien in dem T5 durch einen Teil Deutschlands und genoss das Gefühl von Freiheit, ungebunden und vor allem nah an der Natur zu sein. „Die Reise mit Cori hat für mich sehr viel bedeutet. Sie half mir besonders, mich und meine Selbstsicherheit wiederzufinden, meinem Körper wieder zu vertrauen und einen Abschluss zu finden nach der schwersten und prägendsten Zeit meines Lebens“, erzählt sie. Besonders gut gefiel ihr an dem Camper die liebevolle Einrichtung und der bunte Aufdruck.
Die Außengestaltung von Cori (benannt nach der ersten Heldin, die mit dem Bus auf Reisen ging) haben Andrea Voß und Steffie Tomczak bewusst gewählt, um auf das Projekt aufmerksam zu machen. Ihr Ziel ist es, Angehörigen und Betroffenen zu einem lockereren Umgang mit dem Thema zu verhelfen, dass ihnen das Reden darüber leichterfällt und sie sich nicht voneinander abkapseln aus Furcht, etwas Falsches zu sagen. „Man braucht doch keine Angst zu haben, Gefühle zu zeigen, wenn man miteinander verbunden ist. Man kann doch auch sagen: Dass du erkrankt bist, das hat mich wirklich aus den Latschen gehauen“, findet die toughe Andrea. Ehrlichkeit sei auch in diesem Fall besonders wichtig, selbst wenn man sich am Ende weinend gegenübersitzt. Natürlich müsse man nicht jeden Tag über den Krebs reden, aber füreinander da zu sein und einfach mal in Ruhe und ehrlich zu fragen, wie es dem anderen gerade geht, das hilft.
„Jeder weiß, dass Krebs scheiße ist. Jeder weiss, dass man Schmerzen hat. Aber ich finde es trotzdem wichtig, dass man zeigt, dass das Leben schön ist“
Freiheit schenken
Obwohl sich die Freundinnen so sehr für andere einsetzen, hatten sie selbst noch nicht die Gelegenheit, mit den Campern zu verreisen. In der Saison zwischen April und Oktober ist vor allem der T5 Cori ausgebucht. Die Kosten für die Vermietung werden individuell mit den Helden besprochen. Je nach finanzieller Bedürftigkeit fällt eine Tagesgebühr an; wer das nicht zahlen kann, darf kostenlos fahren. Der Verein deckt seine Kosten ausschließlich über Spenden. Vor allem während der Pandemie ließen diese allerdings stark nach. Trotz ihrer unermüdlichen Arbeit bleibt bei Andrea Voß und Stefanie Tomczak davon nichts übrig. „Wir machen das in unserer Freizeit, es ist echt anstrengend. Aber die Glücksmomente mitzuerleben und Nachrichten zu bekommen, wie schön es auf dem Campingplatz oder das Reisen mit Cori war – das entschädigt schon sehr“, erzählt Voß, die für ihren Einsatz 2019 mit der Goldenen Bild der Frau ausgezeichnet wurde.
Ihr Wunsch ist, dass das Projekt noch bekannter wird und sich noch mehr Helden bei ihnen melden, die sich vielleicht aus Scham bisher nicht getraut haben, das Angebot wahrzunehmen. Inzwischen konnte der Verein die Buchungsplattform Roadsurfer für sich begeistern, sodass das Unternehmen ihm 100 freie Miettage mit seinen Campern zur Verfügung stellt. Dennoch träumen die beiden Frauen davon, eines Tages genug Spenden gesammelt zu haben, um ihre eigene kleine Flotte um einen Camper – gern mit integriertem Bad – zu erweitern. Damit ihr Anliegen, möglichst vielen jungen Helden ein Stück Freiheit zu schenken, noch mehr Menschen erreichen kann.
Das sind die Heldencamper
Das Projekt Heldencamper ist ein Angebot für 18- bis 40-jährige Krebskranke, die sich selbst keinen Urlaub leisten können, um sich von ihrer Therapie zu erholen.
Erforderlich
– ärztlicher Nachweis oder ein Attest über eine Krebserkrankung innerhalb der letzten 5 Jahre
– Nachweis, dass man nur ein geringes Einkommen hat oder nur Krankengeld bezieht
Kosten
– Finanziell Bedürftige bekommen den Camper kostenlos oder für 25 Euro am Tag.
– Doppelverdiener zahlen 50 bis 75 Euro pro Tag.
– Die Wohnwagen auf dem Naturpott Borkenberge kosten 25 Euro am Tag.
Die Buchung ist über die Website möglich: projekt-heldencamper.de
Der Verein freut sich über Spenden via Paypal: spende@wir-koennen-helden-sein.de
oder per Überweisung: Wir können Helden sein! e. V., IBAN: DE76310605173221264010