So was! Da wurde doch schon wieder eine vorher so ursprüngliche Piste im bevorzugten Reiseland asphaltiert – da ist doch jetzt der ganze Spaß weg! Immer wieder geistern Sätze wie dieser durch die Gemeinde, mal entrüstet im Ton, mal enttäuscht, mal traurig. Keine neue Entwicklung, eher ein stetes Grundrauschen wie die Diskussion über den idealen Reifen oder die Bauart der Toilette. Doch vermeintlich nebensächlich im Kern, steckt in dieser Aussage doch ganz viel, das es wert ist, beleuchtet zu werden.
Wer wohnt denn da?
Da ist zunächst einmal das Offensichtliche. Wege haben immer ein Ziel, sonst würden sie nicht existieren. Wenn aus einem Pfad eine Spur wird, eine befestigte Piste und irgendwann ein gepflasterter, betonierter, asphaltierter Weg, dann ist das für diejenigen, die am Ende dieses Weges leben oder arbeiten, vor allem eines: ein Segen. Wir alle wissen, dass sich die Reisegeschwindigkeit spürbar erhöht, wenn der Boden befestigt ist. So rückt der nächste Ort, der nächste Markt, der Wohnort der Familie für alle, die diesen Weg im Alltag benutzen, deutlich näher. Wir wissen auch, wie viel weniger das Fahrzeug leidet, wenn es nicht auf Wellblech oder losem Fels durchmassiert wird, die neue Wegoberfläche spart den hier lebenden Menschen also nicht nur Zeit, sondern auch Geld.
Die glatte Straße durch den Ortskern ist aber nicht in jeder Hinsicht ein Segen – ihre Nachteile waren gar für Dörte Hansens Roman Mittagsstunde ein zentrales Element. Das Tempo der Autos steigt in direkter Folge nicht nur zwischen den Orten, sondern auch dort, wo Menschen leben, ihre Geschäfte am Straßenrand betreiben, ihre Cafés und Werkstätten. Gewiss, die Auslage und Tischdecke sind fortan weniger staubig, aber wen interessiert das noch, wenn keiner mehr anhält? Uns Reisende betrifft das nur peripher: Wir können ja noch immer selbst entscheiden, wie schnell wir fahren wollen. Nur weil es unter den Reifen nicht staubt und poltert, muss ja nicht sofort drei Gänge hochgeschaltet werden. Es passiert nur unterschwellig und automatisch.
Zuvor, als uns das Wellblech, die Steine und der Staub ungewollt eingebremst haben, hatte das auch etwas Gutes: Es blieb mehr Zeit, die Landschaft zu erleben. Wie in einer Museumseisenbahn, die es erlaubt, nebenher ein paar Blumen zu pflücken, rauscht die Umgebung nun nicht einfach nur vorbei, sondern bietet Gelegenheit, sie zu riechen, zu beschauen, zu spüren. Pistenfahrt fühlt sich näher dran an der Natur an, inklusive dem alles benetzenden Staub im Fahrzeug.
Klingt gut, ist aber ebenfalls nur eine Seite einer Medaille: das Vogelgezwitscher, den rauschenden Bach, das Stimmengewirr der am Wegesrand gehenden Menschen schluckt die permanente Geräuschkulisse des polternden, scheppernden, quietschenden Wagens.
Ist Schotter der bessere Asphalt?
Es ist ja so, dass dort, wo glänzender Asphalt manchen Reisenden erzürnt, zuvor kein Offroad-Park war. Weder der Rubicon Trail noch der Cirque de Jaffar, weder der Old Telegraph Track noch der Van Zyl’s Pass sind davon bedroht, von der Dampfwalze eingeebnet zu werden. Wer sich und sein Fahrzeug auf Reisen an seine Grenzen bringen will, hat dazu weiter alle Möglichkeiten – überall auf der Welt, und zwar ohne große Suche. Was sich entwickelt, sind Verbindungswege zwischen Orten, Siedlungen, infrastrukturell wichtigen Punkten, die regelmäßig von Menschen, die dort leben und arbeiten, genutzt werden. Kurzum: Strecken, die zuvor in mehr oder weniger regelmäßigen Abständen von einem Trupp Arbeiter und einem Grader instand gehalten wurden und je nach Überarbeitungsintervall von straßenähnlicher Oberfläche bis zum mörderischen Wellblech alles zu bieten hatten.
Die fahrerische Herausforderung? Schlaglöchern, Rippen und Auswaschungen bestmöglich auszuweichen, um Stoßdämpfern und Federn ein Überleben zu sichern. Spaß macht das eigentlich nur selten. Es kann sogar gefährlich werden, insbesondere für Besitzer großer, schwerer Fahrzeuge: Können sich die meist kleinen Pkw oder Transporter der lokalen Bevölkerung noch sehr lange, mitunter Jahre, Jahrzehnte, über entstandene Hindernisse schummeln (so kürzlich an der marokkanischen Atlantikküste erlebt: Eine schon 2010 eingestürzte Brücke wurde bis heute nicht ersetzt, der Weg führt durch eine steinige Furt), an abgerutschten Kanten vorbei, ist es mit fünf Tonnen plus und langen Radständen häufig unangenehm eng – was wäre es doch toll, wäre die Piste einmal modernisiert worden …
Ja, es gibt Strecken, da wünschte man sich, die Straßenbauer hätten die feste Asphaltdecke weggelassen, weil die wieder aufgebrochene Oberfläche und die wegbröselnden Seitenränder das Fahren mehr erschweren als erleichtern. Das aber betrifft alte, ungepflegte Wege. Und nicht die, die als verloren gegangen bedauert werden.
Hinzu kommt: Nichts ist auf Reisen unnötiger, als nach endlosen Pistenkilometern umdrehen zu müssen, weil eine Passage abgebrochen ist, unterspült wurde, von Steinschlag oder umgestürzten Bäumen blockiert daliegt. Je besser, je frischer der Zustand des Weges, der vor uns liegt, desto sicherer ist auch, dass wir wie geplant unser Ziel erreichen können. Das ist mal mit Blick auf den Kalender dankbar – nicht jeder Reisende hat endlos Zeit –, andernorts aber auch beim Blick auf die Tanknadel. Das Wissen um einen guten Zustand des Weges und ein zügiges Vorankommen ist damit ein wichtiger Bestandteil der Reise- und Routenplanung. Asphalt oder Beton sind dabei zwar keine Garanten für eine reibungslose Passage, wohl aber ein wertvolles Element selbiger.
Spannender als diese ganzen offensichtlichen Aspekte aber ist, was noch alles hinter dieser Trauer über verlorene Pistenkilometer steckt.

Was sagt die Enttäuschung über uns als Reisende aus?
Wer Veränderungen erlebt, also hier den Wechsel des Straßenbelages, kehrt in bereits bekanntes, bereits bereistes Terrain zurück. Das ist eine faszinierende Sache, gerade in Regionen und Ländern, die ein hohes Entwicklungstempo besitzen. Aber warum kehren wir dorthin zurück? Weil wir diese Veränderung erleben und verstehen wollen? Oder weil wir darauf hoffen, einen schon einmal besuchten Ort genau so unverändert vorzufinden? In diesem Fall eine Bergpiste, einen Wüstentrack noch einmal fahrerisch zu wiederholen. Aber ist das reine Fahrerlebnis wirklich unser Reiseziel? Oder ist es nicht vielmehr die Umgebung und was dort stattfindet? Die Ausblicke, die Natur, die Menschen entlang des Weges, die Aktivitäten, die wir vor Ort planen? Kann da die befestigte Straße nicht sogar helfen, sich beim wiederholten Befahren der Strecke nun auf eben diese Aspekte neu zu konzentrieren, anstatt auf das nächste Schlagloch achtzugeben?
Gerade dann, wenn wir den Weg in seiner rauen, steinigen Variante kennen, erleben wir die Umgebung nun womöglich ganz bewusst anders. Oder finden die Energie, die uns zuvor das Fahren raubte, um eine neue, ungeplante Aktivität vor Ort zu starten.
Vielleicht waren wir aber auch noch gar nicht selbst vor Ort. Haben nur aus Erzählungen, von Bildern und Videos von einem befahrenswerten Track erfahren und stehen dann enttäuscht vor einer glatt gebügelten Straße mit Leitplanken und Mittelstreifen. Was macht das mit uns? Ist das Ziel nun weniger wertvoll? Ging es also nur um das fahrerische Erlebnis? Ist etwa der Ausblick auf den Fjord, den Geysir, den Wasserfall, den Vulkan nur deshalb weniger bedeutend, weil wir uns auf dem Weg dorthin nicht die Reifen an scharfem Vulkangestein aufgeschnitten haben?
Wo Asphalt ist, sind Menschen. Das ist an dieser Stelle ein gern genanntes Argument. Ein befestigter Weg erleichtert es, das Ziel zu erreichen. Die unbefestigte Wegdecke ist also Privileg und Grenze zugleich: Sie grenzt die Menschen aus, die sich nicht trauen, den Weg zu befahren – und privilegiert andere, denen es technisch möglich ist. Oder die mutiger sind. Mit dem Bedauern um eine neu befestigte Piste bedauern wir also im Kern, dass wir das Erlebnis am Ende der Straße mit anderen Menschen werden teilen müssen.
Das führt in der Szene zu einem interessanten Effekt: Anstatt nach dem Reiz des Reiseziels an sich, wird der Urlaub, die Reise vermehrt nach dem Reiz des schwer Erreichbaren geplant. Da wird lieber eine entlegene, schwer erreichbare, schlichte Hochlandwiese angesteuert als der besser erschlossene, besser besuchte, weil sehenswertere, Nationalpark. Und je kürzer unsere Reisezeit, je kürzer die Distanz in die Heimat, desto stärker wünschen wir uns die unbefestigten Wege, das damit verbundene Abenteuer, das Privileg, etwas für uns allein erleben zu können.
Deshalb enttäuscht uns der geteerte Weg in den Alpen, in Albanien oder Andalusien so viel mehr als in Angola oder Argentinien.

Der Appetit vergeht beim essen
Je länger wir unterwegs sind, je weiter wir reisen, desto abgeklärter wird das Verhältnis zum Straßenzustand. Zumindest dann, wenn die Reise an sich im Vordergrund steht, nicht das Bezwingen eines Landes. Menschen mit vielen Kilometern auf dem Tacho wissen: Es kommt der miserable Weg. Es kommt die abgebrochene Straße mit haarsträubender Umfahrung. Es kommt die endlose, materialmordende Wellblechpiste. Es kommt das steinige, kaum befahrbare Flussbett. Nicht heute, nicht morgen. Aber es kommt der Moment, an dem wir unsere Offroad-Fahrkenntnisse werden einsetzen können, ja einsetzen müssen, um voranzukommen. Je weiter wir fahren, desto weniger suchen wir das vermeintliche Pistenabenteuer. Und je länger wir offroad unterwegs waren, desto eher fallen wir beim Erreichen eines glatten Asphaltbandes dankbar auf die Knie.
Es wird auch in Jahrzehnten noch Wege geben, die uns und unsere Fahrzeuge an die Grenzen bringen – und darüber hinaus. Wenn wir diese Erfahrungen suchen wollen, werden sie sich bieten. Wer einfach nur reisen will, nimmt die Entwicklung der Welt dankbar zur Kenntnis.