„Ein steiler und steiniger Weg führt in scharfen Kurven hinab ins Tal“
Julica Norouzi und Glenn Geffken
Alter: 38 und 38 Jahre
Wohnort: Berlin
Reiseregion: Kasachstan
Reisedauer: 4 Monate (Seidenstraße)
Reisestrecke: 25.000 km
Webside: julicanorouzi.com
Julica und Glenn reisen seit 2018 im Land Rover durch Europa und Asien. Zuerst mit einem 110er County von 1983 zu jedem Badesee in Brandenburg und dann weiter bis nach Prag. Für ihre Reise entlang der Seidenstraße kauften sie dann „Churchill”, einen Defender mit ruhigem und sparsamem ausgetauschtem 300-Tdi-Motor. In Kasachstan begeisterten die beiden die Natur und die aufgeschlossenen Menschen so sehr, dass sie vier Wochen blieben.
Land Rover Defender 110 „Churchill“
Baujahr: 1987
Motor: 300 Tdi, 113 PS (Tauschmotor)
Verbrauch: 9,6 l/100 km
Aufbau: Dachzelt; Innenausbau
Schlafplätze: 2 + 2
Wir haben uns für vier Monate aufgemacht, um Zentralasien zu erkunden. Nach einigen Abenteuern sind wir der mysteriösen Fähre Professor Gyl entkommen und in der Hafenstadt Aktau, Kasachstan gelandet. Seither lässt uns das neuntgrößte Land der Erde nicht mehr los. Für viele Overlander ist Kasachstan nur ein Transitland auf dem Weg in die touristischen Hochburgen der Seidenstraße. Befremdet von den dortigen Touristenströmen in Usbekistan, sind wir umgekehrt und die berüchtigt schlechte Verbindungsstraße zur Grenze zurück nach Kasachstan gefahren, insgesamt 2.500 Kilometer, um mehr Zeit auf der Halbinsel Mangyschlak und mit ihren mystischen Naturwundern zu verbringen.
In Aktau haben wir die Hilfsbereitschaft und Offenheit einer sympathischen Offroad-Gemeinde schätzen gelernt und dank des findigen Offroad-Guides Sergey die wahren Naturschätze dieser Gegend erleben können. Der Westen Kasachstans ist in unseren Augen ein wahres Offroad-Paradies. Unendliche Tracks durch die Steppe, frei lebende Kamel- und Pferde-Herden und Weite, so weit die Augen schauen können. Immer wieder öffnen sich vor unseren Augen Talkessel und Canyons mit bizarren Felsformationen und in Farben, die atemberaubend sind. Dieses Land und die Freundlichkeit der Kasachen lässt uns nicht mehr los. Wir sind verliebt in die Steppe, Felsen und diese unendliche Weite.

Talabfahrt
Der Morgen kommt so schnell und leise, dass ich ihn fast verpasse. Die Sonne steht bereits hoch über unserem Aussichtspunkt auf dem Talkessel. Ich bin noch im Dämmerzustand zwischen Traumwelt und Wirklichkeit. Die Wirklichkeit bedeutet in diesen Tagen oft, viel aufräumen, verstauen, putzen, hervorkramen, reparieren und wieder verstauen. Ich bin froh, dass ich noch einen Moment weiterdösen kann. Der Platz neben mir ist bereits leer, Julica ist wohl schon aufgestanden. Die Sonne scheint mit Kraft auf den Wagen und ich muss hier bald raus, sonst wird es zu stickig. Doch dieser Morgen ist, als ob ein dunkler Schatten über uns liegt. Eine schreckliche Ahnung lässt mich wieder hochfahren: Aus dem Augenwinkel sehe ich Julica am Rand der Klippe stehen. Lange blickt sie in die Ferne und geht auf und ab. Fliegen brummen und kratzen an den Scheiben. Auch Cyril, unser französischer Motorradfahrer, hat schlecht geschlafen, zu laut heulte der Wind um sein Biwak-Zelt. Der Wind pfeift noch immer und ein paar Wolken sammeln sich am Himmel. Wir sitzen auf unserem herrlichen Teppich aus Aserbaidschan und versuchen, den Ausblick zu genießen. Pfannkuchen und süße russische Marmelade vertreiben die Schatten der Nacht.

Wir packen unser Lager zusammen und fahren mit Cyril zurück zur Hauptstraße. Die Sonne steht flimmernd am Himmel. Etwas weiter die Straße hinab, folgen wir unseren GPS-Daten und einer staubigen Piste in die Steppe hinein. Zwei steil aufragende Felsspitzen mit dem Namen Bozzhira, ragen in den Himmel hinauf. Bozzhira bedeutet auf Kasachisch „Zwei Finger”. Vor Urzeiten war das Ustyurt-Plateau von Wasser bedeckt und die hoch aufragenden Felsen waren Spitzen im Meer. Sie sind aus weichem Sandstein und Kalk. Wind und Regen formen die Landschaft, schleifen sie langsam zu Staub.
Wieder folgen wir den gewundenen Pfaden zum Horizont, bis sich die Umgebung verändert. Felsen kündigen den nahen Abstieg ins Tal an. Ein steiler und steiniger Weg führt in scharfen Kurven hinab. Wir halten. Cumuluswolken hatten es bereits angekündigt: Es sieht nach Regen aus. Cyril beschließt schweren Herzens, nicht mit uns hinab in den Talkessel zu fahren. Aus seiner Erfahrung im Wüstensand Marokkos kennt er die Unwägbarkeiten des Untergrundes. Das Risiko für Regen ist ihm mit seiner schweren KTM-Maschine zu hoch. Er wird entweder warten oder wir treffen uns später an einem verabredeten Punkt entlang der Strecke wieder. Wir zucken mit den Achseln. Die Sonne scheint und es schleichen ein paar dunkle Schatten über die Ebene. An ihren Rändern regnet es sachte. In unserer Unerfahrenheit präsentiert sich das Wetter als vorübergehend und als Sprühregen, der lediglich die Oberfläche benetzt. Denken wir …
Pfade ins Nirgendwo
Wir legen die Untersetzung ein und schieben uns langsam den holprigen Pfad hinab. Im großen Bogen fahren wir durch den Talkessel ins Nirgendwo und lassen die rot geäderten Felsen hinter uns. Die Ebene erstreckt sich, so weit das Auge reicht. Es geht weiter und weiter. Die Ausdehnungen hier sind gewaltig. Auf unserer Navigationsapp scheint es nur ein Katzensprung zwischen zwei roten Punkten zu sein, doch bei diesen Wegverhältnissen dehnt sich die Zeit. Es ziehen dichtere Wolken auf, bald wird der Untergrund felsiger. Auf dem hellen Boden liegen kleine schwarze Kiesel, wie Schokostreusel bedecken sie die strahlend weiße Oberfläche. In der Ferne ist bereits der riesige Tafelberg zu sehen, aus dessen Ausläufern die beiden Felsnadeln Bozzhira herausstechen. Der Himmel ist mittlerweile schiefergrau, die Sonne bricht nur hier und da durch die Wolkendecke und wirft löchrige, helle Punkte auf die Landschaft. Durch das Grau des Himmels leuchten die weißen Felsen umso mehr.
Die beiden Felsspitzen lassen sich nicht in Worte fassen: hoch wie Wolkenkratzer, kantig zerklüftet. Das Auge sucht nach Formen, Mustern, Ornamenten oder irgendetwas, das eine abstrakte oder konkrete Ähnlichkeit aufweist. Die Natur hat hier etwas hervorgebracht, für das mein Vokabular nicht reicht. Den Felsen wohnt etwas Chaotisches und gleichzeitig streng Geordnetes inne.
Wir machen wie begeisterte Touristen – die wir sind – Fotos aus allen möglichen Winkeln. Springen und klettern auf den Felsen und können doch keinen angemessenen Umgang mit dieser Naturgewalt finden. Es ist Mittag und wir fahren weiter Richtung Salzsee, um dort den Salat Olivier zu verspeisen, den Julica am Vorabend zubereitet hat. Auf der Karte scheint die hellbraune Fläche des Sees ganz nah. Doch in der staubigen Wirklichkeit ist nicht der Hauch einer Ahnung von einem See auszumachen. Sanft schwingen sich die Hügel auf, bedeckt mit Steppengras. Hinter jeder Biegung könnte sich ein ganzer Wald verstecken, ohne dass er aus unserer Froschperspektive sichtbar wäre.

Flucht vor dem Unwetter
Der Himmel ist bedrohlich dunkel. Wolkenfetzen schieben sich von drei Seiten an uns heran. Wir fahren aus einem der ausgetreten Pfade und schieben uns einen Lehmwall hinauf. Weitere Lehmwälle wiederholen sich wellenförmig.
Dahinter muss der Salzsee sein, von dem wir viel gehört und bisher nichts gesehen haben. Der Boden ist übersät mit Muschelschalen und endlich sehe ich auch kleine versteinerte Kriechtiere. Wir holen Besteck und den Salat und wollen es nach dem Essen weiter versuchen. Wir sitzen in dieser Einöde und es schmeckt, bis die ersten Tropfen schwer und satt auf die Frontscheibe knallen. Die dunkle Wolkenfront hat sich bis an das Heckfenster herangeschoben.
Mit einem Mal wird das Bild im Rückspiegel von einem Blitz geteilt. Er reicht vom Himmel bis zum Steppenboden. Sekunden später rollt der Donner mit kraftvollem Bass von den Felswänden hinab. Uns vergeht augenblicklich die Lust auf das Essen. Der Regen knallt immer lauter und stärker auf das Aludach und gegen die Fenster. Der helle, staubige Boden färbt sich dunkel.
Wir wollen jetzt hier weg, und zwar so schnell wie möglich. Zurück auf einen der Wege, der uns aus diesem Tal hinausführen wird. Bedrohung und Spannung liegen in der Luft. Wir ruckeln los. Der Regen läuft in Bächen die Frontscheibe herunter. Es ist kaum etwas zu erkennen. Das Wasser kann nicht in den kalkigen Boden eindringen, sammelt sich an der Oberfläche und wie aus dem Nichts bilden sich in Kuhlen und Senken auf einmal Pfützen und sogar kleine Bäche. An einer Bodenwelle rauscht nun ein richtiger kleiner Strom entlang.
Spannung und Bedrohung liegen in der Luft. Wir fahren los.
Wir fahren noch ein Stück und halten kurz, um unseren halb gegessenen Salat zu verstauen. In Richtung Salzsee ist der Himmel tiefschwarz und sieht aus wie das Zentrum von Mordor. Auf einmal donnert es wieder. Der Wind pfeift und wirbelt Sandwolken in unsere Richtung. Deutlicher könnten uns die Wettergötter nicht zu verstehen geben, dass wir hier nicht willkommen sind.
Wie war das nochmal mit Gewitter und Autos? Und funktioniert der faradaysche Käfig eigentlich auch bei Aluminium? Funktioniert das nur während der Fahrt und wie ist das eigentlich bei Motorradfahrern wie Cyril? Tausend Fragen, während der Regen gegen die Scheiben prasselt.
Wir sind in jedem Fall der höchste Punkt in der Landschaft. An diesem Tag sollten wir wohl nicht zur Mitte des Talkessels mit seinem Salzsee vorstoßen. Doch das Gewitter hat noch nicht genug. Es sammelt weiter Kraft und streckt seine schwarzen Ausläufer über alle Teile des noch blauen Himmels. Wir fahren der gewaltigen Regenfront davon, der Rückspiegel ist schwarz, während die Frontscheibe dem noch letzten freien Stück Himmel entgegenfährt.
Wir fahren so schnell wir können über die Wege und Buckelpisten. Eine kleine Senke ist nun ein reißender Fluss und wir merken, wie gut es ist, einen Schnorchel zu haben, denn bei einer solchen Wasserhöhe wäre sonst der Motor einfach ersoffen.
Oftmals wirkt solches Offroad-Equipment in der Stadt überdimensioniert, hier wären wir ohne verloren und das Auto einfach kaputt. Tief durchatmen, und mit viel Schwung durchqueren wir den Fluss. Das Herz klopft im Takt der Regentropfen an der Heckscheibe. Tatsächlich scheint das Gewitter dieselbe Geschwindigkeit zu haben wie wir, und so schiebt sich die dunkle Wand beim Blick über die Schulter immer weiter mit.
Endlose Steppe
Bald haben wir wieder die rot geäderten Felsen der Talkante erreicht. Hier haben wir uns Stunden zuvor von Cyril verabschiedet. Unser Land Rover Churchill macht seine Sache sehr gut und wir schaffen es unbeschadet aus dem Nationalpark heraus, wieder auf eine der wenigen befestigten Straßen.
Auf der asphaltierten Straße gewinnen wir schnell an Vorsprung vor dem Gewitter. Ein dumpfes Gefühl der Angst bleibt, doch diesmal ist alles gut gegangen. Anscheinend mögen die kasachischen Wetter-Steppengötter keinen Salat Olivier.
Am Nachmittag treffen wir Cyril an der Moschee Beket-Ata wieder, dem „Mekka” West-Kasachstans. Wir dürfen dort die Wasservorräte füllen, doch zur Moschee hinabsteigen können wir nicht, da sie zu dieser Zeit geschlossen hat. Auf keinen Fall will ich die Nacht bei der Moschee verbringen, es soll weitergehen, 70 bis 100 Kilometer durch die Steppe liegen vor uns.