Der Sommer neigt sich dem Ende zu, doch noch immer wärmt die Sonne bereits am frühen Vormittag. „In drei Tagen wird hier Schnee liegen“, vermutet Igor Stojović. „Einen Übergang zwischen Sommer und Winter gibt es nicht. Hier wird es bis zu minus 30 Grad kalt, der Schnee wird drei bis vier Meter hoch liegen, die schmalen Wege sind dann längst nicht mehr erkennbar.“ Der Montenegriner lehnt sich gegen den Holzbalken, der den kleinen Garten seines Bruders hinter der Hütte einzäunt. Eigentlich ist diese Grundstücksgrenze überflüssig, das Haus des Nachbarn ist kaum in Sichtweite. Wer hier lebt, hat viel Platz, auf Fremde trifft man selten. Vielleicht ist das der Grund, warum Stojović und seine Familie spontan zu Schnaps und Kaffee einladen. Der IT-Spezialist arbeitet in der Stadt und hilft seinem Bruder für ein paar Tage in der Hochebene Sinjajevina. Die Schafe müssen in das Dorf gebracht werden, bevor der erste Schnee fällt.
Während es in den Bergen schon bald kalt sein wird, wird es an der Küste noch einige Wochen sommerlich warm bleiben. Nicht nur die verschiedenen Klimazonen sind für Montenegro
charakteristisch, es ist vor allem die Landschaft, die sich zum Großteil aus Bergen, Wäldern, Flüssen und Seen zusammensetzt. Dabei stellt die Sinjajevina mit ihrer Steppenlandschaft eine Ausnahme dar. Bei einer solchen Vielfalt auf kleinstem Raum ist es nicht verwunderlich, dass sich das kleine Balkanland seit 1991 als erstes Land weltweit mit dem Titel „Ökologischer Staat“ schmückt – oder etwa doch?