Leser unterwegs: Senegal

Angi und André sind mit ihrer Tochter Romy und der Deutschen Doggendame „Müsli“ seit ­Dezember 2018 auf ihrer großen Reise. Für den EXPLORER berichten sie von ihrer Tour durch den Senegal

Es ist spät. Es wird dunkel. Es ist 37 Grad heiß. Alle wollen nur noch einen Schlafplatz finden und keinen Meter mehr fahren. Der letzte halbe Kilometer war kaum noch zu bewältigen: dichtes Geäst, mit Lianen behangen. Viel zu niedrig für unsere beiden Lkw – wir sind mit unseren Reisebekannten René und Yvonne unterwegs. Der Untergrund ist sandig, die Fahrbahnbreite gerade so ausreichend. Und natürlich geht es irgendwann nicht mehr weiter zum geplanten Ziel. Also zurück zum Ausgangspunkt. Zu Fuß erkunden wir die nähere Umgebung. Geradeaus geht es nicht, links befindet sich nach 100 Metern ein weiteres Campement, wie die Campingplätze hier im Senegal genannt werden. „Alles kein Problem, natürlich könnt ihr hier übernachten“, so die freundliche Besitzerin. Also den Platz kurz inspiziert und auf Tauglichkeit geprüft, schon haben wir doch einen Platz für die Nacht. Nochmal Glück gehabt?

Wir waren wahrscheinlich schon zu lange unterwegs gewesen an diesem Tag in Kafountine, und so hatte ich beim Erkunden der Zufahrt zum neuen Campement wohl die Höhe einiger sehr dicker Äste falsch eingeschätzt. Wir kamen auch dort nicht weiter, es war zum Verzweifeln. Doch da hatten wir dieSenegalesen wohl unterschätzt. Während wir den ersten „Ast“ – es wahr eher ein Baum – noch selbst aus dem Weg gesägt bekamen, ging es direkt vor der Einfahrt zum Platz definitiv ohne Hilfe nicht mehr weiter. Noch bevor wir unsere Verzweiflung richtig ausgesprochen hatten, waren vier Senegalesen um uns herum und fingen einfach an. Mit einer Machete, unseren Äxten und Sägen. Alles wurde, ohne zu fragen, ohne Vorwürfe („Wie kann man denn dort mit einem Lkw hineinfahren?“), ohne Gedanken an schnell verdientes Geld, ohne Diskussionen, einfach beseitigt. Jeder kleine Ast, der im Weg war.

 

Angi, André und Romy Sandt

Senegal 2018

Alter 36, 37, 3, Hund Müsli: 5 Jahre

Wohnort Lkw

Reiseländer geplant: Afrika und Asien

Reisedauer geplant: 2 bis 3 Jahre

Reisestrecke bislang circa 12.500 Kilometer

 

DAF Leyland T244 4X4

Baujahr 1991

Motor 5.900 cm3, 180 PS

Verbrauch 22–25 l/100 km, Diesel

Aufbau Zeppelin Shelter FM2, selbst verlängert, selbst ausgebaut
Schlafplätze 6
Leergewicht 7.000 kg

Gesamtgewicht 9.000 kg, reisefertig 8.500 kg

 

Es ist mit Worten kaum zu beschreiben, wie glücklich uns diese Leute in dem Moment gemacht haben. Selbst zwei Einheimische, die eigentlich nur auf dem Platz lebten und hinter uns in ihrem Auto warten mussten, packten sofort mit an. Keine Frage nach Geld, kein „Ja, aber“, nichts. Einfach nur Hilfe.

Mittlerweile ist es stockdunkel, ein paar wenige Taschenlampen und Handys sowie die Dachscheinwerfer des vorderen Lkw beleuchten die Umgebung. Jeder ist durchgeschwitzt, am Ende der Kräfte, wir arbeiten bis zur -Erschöpfung. Meine Frau Angi und unsere Tochter Romy sind inzwischen von der Besitzerin schon zum Essen abgeholt worden, einfach eingeladen. Der Rest der Mannschaft sinkt nach erfolgreicher Arbeit zufrieden auf die Barhocker des Restaurants und es gibt eine Runde Bier für alle. Sehr, sehr spät bekommen wir noch etwas zu essen. Natürlich auf afrikanische Art: alle am selben Tisch, gemeinsam von einer großen Platte. Völlig selbstverständlich. Die Besitzerin findet sogar noch Muße, uns etwas von den hiesigen Gebräuchen bei Tisch zu erklären. Wer hätte gewusst, dass man im Senegal nach dem Essen sofort aufsteht und den Raum verlässt? Das Sitzenbleiben am Tisch, wenn man fertig ist mit Essen, wie auch das Unterhalten beim Essen, gelten als unhöflich.

 

Die Kontakte mit den Einheimischen sind immer herzlich und unkompliziert, keiner stört sich daran, dass Weiße im Lkw die Welt erkunden

 

Es ist ein prägender Abend für uns, so viel Hilfsbereitschaft und Selbstlosigkeit haben wir sehr, sehr lange nicht -erlebt. Wir bleiben insgesamt sechs Tage hier. Für unsere Verhältnisse ist das lange, wir bleiben seltenst mehr als zwei Tage an einem Ort, aber hier bleiben wir hängen. Nicht, weil der Platz besonders hübsch ist oder wir den nicht vorhandenen Swimmingpool genießen. Einfach nur wegen der Menschen. Die Chemie stimmt sofort und wir fühlen uns rundherum nur wohl.

Die Abende verbringen wir oft mit Verköstigung der traditionellen Speisen wie Thiebou Djeune und Poulet Yassa, übrigens auch extra für uns während unseres Aufenthalts gekocht, ergänzt um lange Gespräche über Kultur, Tradition, Politik und Sprachen. Nur eben nacheinander, so viel haben wir schon verinnerlicht. Es sind wundervolle Abende und Tage, an denen wir viel über den Senegal lernen. Auch deshalb, weil die Besitzerin Englisch spricht und somit vieles klarer wird, als wenn man sich nur auf Französisch hätte unterhalten können.

Die Reise durch den Senegal bestand oft aus Warten. Warten auf eine Fähre, warten an der Grenze, warten beim -Wasser und Diesel Tanken. Beide Fährüberfahrten, über einen Fluss bei Foundiougne und über den Gambia-River bei Farafenni, haben über fünf Stunden Wartezeit bedeutet. Und trotzdem waren alle um uns herum so gut gelaunt und freundlich, als wären sie gerade bei einem Straßenfest. Immer gab es ein nettes Gespräch, nie wurde man komisch angeschaut, weil man weiß ist oder in einem großen Lkw zum Spaß durch die Weltgeschichte fährt. Auch wurde nie versucht, einem etwas zu verkaufen.

Sechs Tage bleiben wir, einfach, weil die Chemie stimmt, wir uns wohlfühlen

Stimmt natürlich nicht ganz, es gab durchaus auch an den Fährhäfen kleine Läden und Straßenverkäufer. Der entscheidende Punkt ist nur: Sie waren kein bisschen aufdringlich. Unsere Erfahrung in Marokko beispielsweise hat gezeigt, dass man recht energisch „Nein“ sagen muss, möchte man die angebotene Ware nicht haben. Überhaupt fühlte es sich oft so an, dass es sich bei jedem Gespräch oder Smalltalk in Marokko nur um ein Verkaufsgespräch handelt. Ganz anders im Senegal, da reichte schon das kleinste Kopfschütteln und die Sache war erledigt. Doch im Gegensatz zum Marokkaner, der in dem Fall (nach unserer Erfahrung) recht schnell zum Nächsten gegangen wäre, entsteht mit dem Senegalesen trotzdem noch ein ehrlich freundliches und anregendes Gespräch.

 

 

Also alles toll und paradiesisch im Senegal, oder? Nein, natürlich nicht. Bei unserer – zugegeben recht schnellen und viel zu kurzen – Runde durch das Land gab es natürlich auch weniger schöne Erlebnisse. Sei es der allgegenwärtige Müll, den es vor allem dadurch gibt, dass das Land mit allerlei nutzlosen westlichen Konsumgütern überschwemmt wird, ohne dass eine funktionierende Müllentsorgung vorhanden wäre. Oder die Armut, die besonders sichtbar ist, wenn man durch Städte mit wohlhabenden Gegenden kommt und dadurch die Schere zwischen Arm und Reich besonders offensichtlich wird. Dennoch wird übrigens recht wenig gebettelt, auch nicht von Kindern.

Und was ist mit der Polizei und den Straßenkontrollen? Alles korrupt und nervenaufreibend? Keineswegs. Es gibt recht viele Kontrollen, aber fast ausnahmslos geht es nur um eine kurze Pass- oder Führerscheinkontrolle, dazu ein kurzer Smalltalk (nachfolgender Verkehr muss dann eben solange warten) und weiter geht die Reise. Ein einziges Mal wurde es kurz unangenehm und wir mussten eine unberechtigte „Strafe“ etwa 20 Minuten lang aussitzen: Man hatte uns angehalten und unseren fehlenden Unterfahrschutz am Heck bemängelt. Dazu muss man wissen, wie Fahrzeuge im Senegal oft aussehen: fehlende Beleuchtung, Blinker, Kotflügel, Auspuff, verzogene Rahmen, krumme Achsen und noch vieles Unvorstellbare mehr. Das ist Alltag im Senegal. Und so wirkte die Beanstandung doch einigermaßen skurril. Es ging in dieser Kontrolle also offensichtlich darum, uns etwas Geld aus der Tasche zu ziehen. Die französischen Sprachkenntnisse haben wir in diesem Moment auf wundersame Weise komplett verloren und so mussten wir einfach nur abwarten und dabei freundlich bleiben. Zeit zu haben ist in Afrika nicht ganz unwichtig! Doch dies sollte die einzige Begegnung der korrupten Art bleiben, auch an den Grenzen lief alles immer einwandfrei und korrekt ab.

 

Nach staubigen Pisten bilden große Pelikan-Kolonien auf den Flüssen einen überraschenden Kontrapunkt

 

Die Begegnungen im Senegal haben wir auch immer wieder genutzt, um ein paar Worte Wolof, eine der vielen einheimischen Sprachen, zu lernen. Und natürlich haben wir auch immer die entsprechenden deutschen Worte gelehrt – was für ein Spaß! Besonders Kinder tauen so sehr schnell auf, wenn sie ansonsten nur wenige Worte Französisch sprechen. Ein freundliches „Nangadef“ („Hallo!“) reicht schon, um auch den schüchternsten Senegalesen zu überzeugen.

Die lustigen Momente während des „Lernens“ der einheimischen Sprache haben es uns endgültig leicht gemacht, im Land anzukommen. Denn automatisch waren wir noch ein wenig mehr auf Augenhöhe mit den Menschen. Jërë-jëf (gesprochen: djeure-djeuf = „Danke“), Senegal! Deine Bewohner haben es uns durch ihre lustige, lockere, fröhliche und aufgeschlossene Art so richtig angetan und wir sehen uns ganz bestimmt noch einmal wieder.

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