Es kommt im Leben schon mal vor, dass wir Kompromisse eingehen müssen. Und manchmal entpuppen sie sich sogar wider Erwarten als Glücksgriff. „Längs schlafen. Auf jeden Fall längs! Und ich muss aufrecht sitzen können.“ Das waren Barbara Grosmanns klare Vorgaben für ihr Wohnmobil- Projekt „Paulchen“. Denken andere zuerst an Tankkapazitäten, Größe der Nasszelle oder Anzahl der Differentialsperren, kommen auch in diesem Fall die Prioritäten nicht von ungefähr: Barbara Grosmann leidet an Arthrose, rückenschonender Komfort hat an dieser Stelle nichts mit Luxus zu tun, sondern mit alltäglichem Wohlbefinden. Auf der Matratze aufrecht sitzen zu können und nicht quer zur Fahrtrichtung ins Bett robben zu müssen, das war also bei „Paulchen“ die Entwicklungsvorgabe. Aber lieber mit einem voluminösen Camper auf Reisen gehen als mit Schmerzen – oder gar nicht.
Barbara Grosmann und ihr Mann Peter sind als Camper aufgewachsen. Sie erlebten als Kinder das Reisen im VW Käfer mit Zelt oder später im selbstgebauten Wohnmobil. Barbara Grosmann fand schon als Mädchen einen Unimog spannender als ein Cabrio und unterschied sich damit deutlich von ihren Freundinnen. So war es nie eine Frage, wie das Paar gemeinsam auf Reisen gehen würde. Mit einem ausgebauten Fiat -Ducato wurde über Jahre Europa erkundet, bis im Jahr 2015 aufgrund der gesundheitlichen Entwicklung die Entscheidung fiel, dass etwas Neues hermusste – die erwähnten Notwendigkeiten, die neuen Prioritäten, sie waren in dem Transporter einfach nicht umsetzbar.
Peter Grosmann liebäugelte schon seit einiger Zeit mit der Kombination aus Pickup und Wohnkabine, seine Frau konnte sich für „so einen Schuhkarton“ nicht wirklich begeistern. Hier galt es, Vorurteile zu entkräften. Da passenderweise ohnehin ein Urlaub in Kanada geplant war, wurde der Entschluss gefasst, aller Theorie die Praxis folgen zu lassen. Und so wurde für den vierwöchigen Aufenthalt ein amerikanischer Pickup mit einer für nordamerikanische Verhältnisse typischen Wohnkabine reserviert. Was für die beiden dann vor Ort die spektakuläre, im ersten Augenblick fast erschlagende Größe des Wohnmobils war, wurde von den Kanadiern als „small cab“ eher belächelt – die Weite Kanadas bietet für deren rollende Einfamilienhäuser einfach mehr Raum.
Zu ihrer eigenen Überraschung freundete sich Barbara Grosmann in den folgenden Wochen schnell mit der Idee einer solchen Fahrzeug-Kombination an. So war ihr Ehemann schon vor der Rückkehr in die Heimat damit beschäftigt, ein geeignetes Basisfahrzeug zu suchen. Wieder daheim, organisierte er für sich und seine Liebste zuerst eine Probefahrt in einem normalen Land Rover Defender. „Einfach mal, um die Sitzposition und das Fahrgefühl zu erleben.“ Schnell war klar, die Offroad-Ikone fühlt sich richtig an.
Also war nun das erklärte Ziel, einen großen und seltenen 130er-Defender mit Doppelkabine und Pritsche zu suchen, um anschließend darauf eine individuell angepasste Wohnkabine zu setzen. Die sollte dann, aus Kostengründen, in Eigenarbeit ausgebaut werden.
XL-Kabine auf XL-Pickup – bei Bedarf mit Platz für vier
Ein geeignetes Basisfahrzeug fand sich überraschend schnell bei einem Händler in der Nähe – eigentlich viel zu früh, denn die Planung und der Bau der Kabine würden noch mindestens ein Dreivierteljahr dauern. Aber da im Jahr 2015 das Ende der Produktion der Defender bereits eingeläutet war, griffen sie kurzentschlossen zu und holten sich die Basis für ihr neues Projekt schon mal nach Hause. Gleichzeitig begann die erste Erkundungsphase bei verschiedenen Wohnkabinenherstellern nach möglichen Optionen und ob alle Vorgaben würden umgesetzt werden können. Aufgrund der guten Erfahrungen von Barbaras Vater, der bereits vor 30 Jahren eine Kabine von Ormocar aus Hauenstein erstanden hatte und mit dieser auch nach all dieser Zeit noch hochzufrieden war, fiel ihnen die Entscheidung zwischen den Angeboten leicht.
Der 130er wurde, während die Planungen für die Kabine liefen, trocken eisgestrahlt und vor Korrosion geschützt. Bei Bremen fand sich mit DM Land Rover Service die einzige Defender-Werkstatt, die das Reserverad für den TD4 auf der Motorhaube eintragen lassen konnte. Peter Grosmann war es wichtig, dass ein vollwertiges Reserverad an Bord ist, wollte es aber nicht an die gewichtssensible Wohnkabine hängen. Für guten Sitzkomfort wurden noch die beiden Fahrersitze ausgetauscht und ein kleines Lenkrad verbaut.
So war die Basis bestens vorbereitet und konnte schon drei Monate später in die Pfalz überstellt werden, um den Trägerrahmen für die Kabine bauen und anpassen zu lassen – die Wohnkabine steht abnehmbar auf einer eigens angefertigten Flachbett-Pritsche. Und was für eine Wohnkabine ist es geworden: Ist die Gesamtlänge von 5,9 Metern und eine Breite von 2,2 Metern durchaus noch im Rahmen und einigermaßen überschaubar, ist die Dachhöhe von 3,2 Metern (mit Dachluke sogar noch einmal zehn Zentimeter mehr), ziemlich imposant und bei engen oder zugewachsenen Wegen hinderlich – auch der hohe Schwerpunkt trägt nicht zur Verbesserung der Fahreigenschaften bei.
Aber obwohl die Kabine mit diesen Vorgaben schon wirklich üppig ausgefallen ist, bietet die Aufbauhöhe durchaus auch Vorteile: Der Innenraum wirkt dadurch erstaunlich großzügig und offen. Und das bei einem Defender als Basisfahrzeug, den man gemeinhin nicht mit üppigem Wohnraum in Zusammenhang bringt. Da die beiden über das Jahr verteilt in Urlaub fahren und oft auch im Winter unterwegs sind, war ihnen eine perfekte Isolierung wichtig. Hier hatte der Fiat zuvor so seine Schwächen. Nun bietet „Paulchen“ rundherum Sandwich-Wände mit 53 Millimetern Stärke, in der Bodenplatte sogar 69 Millimeter. Die Platten mit GFK-Außenlagen und Polyurethan-Kern werden bei Ormocar seit Jahrzehnten je nach Bedarf in einer eigenen Anlage hergestellt.
Alles lief nach Plan, im Frühjahr 2016 wurde ausgeliefert und die beiden konnten schon in den Osterferien mit dem Innenausbau beginnen. Zügig wurde losgelegt, denn schon für den folgenden Juli sollte die Jungfernfahrt in Richtung Kroatien starten und später im Jahr sollte noch einen Besuch auf Korsika folgen. „Ein Jahr ohne Korsika ist irgendwie doof“, ist Barbara Grosmann überzeugt, seit Jahren steht die Mittelmeerinsel auf dem Reiseplan.Also hieß es: dranbleiben! Geliefert wurde die Kabine komplett leer, nur der Eingang war bereits montiert. Mit Tür, vier Serviceklappen, Lackierung, Hubstützen und der Vorbereitung des Basisfahrzeuges (Pritschenrahmen und Tank-Umbau) kostete der Umbau annähernd 30.000 Euro. Um Kosten zu sparen, wollte das Ehepaar die Fenster selbst einbauen, was aber im Umkehrschluss hieß, an die nagelneue und gerade erst bezahlte Kabine die Stichsäge anzusetzen. Dieser Moment wird Barbara Grosmann immer in Erinnerung bleiben: „Schwer war nur der erste Schnitt, der zweite geht dann schon viel schneller und leichter von der Hand.“
Aufgrund guter Vorplanung ging es dann entsprechend Schlag auf Schlag. Viele Maße des Innenausbaus hatten sie sich schon während des Kanada-Urlaubes aus dem Ford abgenommen, daheim auf dem Teppich mit Kreppband abgeklebt und an ihre Bedürfnisse angepasst. So wurde beispielsweise das integrierte Bad großzügige 80 Zentimeter breit, nicht nur schmale 67 wie im Ford. Nun kann man – im Gegensatz zum Urlaubsmobil – auch als normal gebauter Mensch beim Toilettengang die Tür hinter sich schließen. Die Sitzbank der klassisch quer vor dem Alkoven platzierten Dinette bekam eine Breite von 110 Zentimetern, damit man auch zu viert noch bequem nebeneinander sitzen kann. Schließlich sollen zur Not auch noch zwei weitere Personen, seien es die beiden Söhne oder vielleicht mal deren Kinder, im Defender mitreisen können.Ein Durchgang zum Fahrzeug nach vorn wurde verworfen, da es nur ein Notdurchschlupf geworden wäre. Viele rieten davon ab, denn tatsächlich genutzt würde ein solch unkomfortabler Durchschlupf nur sehr selten.
Der zu großen Teilen aus klar lackiertem Nadelholz getischlerte Innenausbau ist gut durchdacht, es gibt viele, laut Barbara Grosmann fast schon zu viele, Staukästen. Die Arbeit ist bis ins Detail liebevoll – und eine gewisse Inspirationssuche bei Bimobil-Ausbauten nicht von der Hand zu weisen. Der Grundriss mitKüche und Bad hinten im Fahrzeug ist populär und bewährt, große Fenster, mehrere Dachluken und die hellen Oberflächen schaffen ein sehr offenes und lichtes Raumgefühl. Was man dabei erst auf den zweiten Blick erkennt: Der Defender besitzt gleich zwei Untergeschosse: einen normalen Keller und einen Tiefkeller. Im flachen, durchgehenden Doppelboden werden die Schuhe sowie Lebensmittel oder nicht benötigte Kleidung frostsicher untergebracht. Der Zugang erfolgt über zwei kleine Bodenplatten im Wohnbereich. Der Tiefkeller ist nur von außen über je eine seitliche Klappe zu erreichen und liegt auf ganzer Fahrzeugbreite unterhalb der Dinette. Dort können bis zu vier Paar Ski -untergebracht und zwei Paar Skischuhe über Nacht per Luftheizung getrocknet werden. Dazu wurde extra eine Luftleitung von der Heizung in den Stauraum geführt, die sich bei Bedarf auf vier kleinere Leitungen aufteilt, die abends in die Skischuhe gesteckt werden. Was für ein Luxus!
Der Innenausbau entstand in nur wenigen Monaten
Ab Werk war der TD4 schon mit dem optionalen Winterpaket gut für die neue Aufgabe als Ganzjahres-Reisemobil gerüstet, in der Wohnkabine werden mit einer Gas-Therme warmes Wasser und warme Luft produziert, dafür sind zwei leichte Alu-Gasflaschen an Bord, mit je elf Kilogramm Kapazität. Gern würde Peter Grosmann die Gasversorgung auf einen Flaschentank umbauen, der dann an jeder LPG-Tankstelle gefüllt werden könnte.
An Bord sind derzeit 75 Liter Diesel, die aber noch um einen Zusatztank aufgestockt werden sollen. Der Trinkwassertank fasst 80 Liter, der Brauchwassertank nimmt knapp 60 Liter auf. Auf dem Dach sind drei Solarmodule mit je 110 Watt Spitzenleistung angebracht, um auch im Winter die beiden 100 Ampere-stunden großen Lithium-Eisen-Akkus zuverlässig mit Energie versorgen zu können. Normale Blei-Batterien schieden wegen ihres Gewichts aus. Die verbauten Exemplare wiegen nur die Hälfte, kosten aber etwa das Vierfache. Zugelassen ist der 130er-Defender TD4 als Wohnmobil mit einem Gesamtgewicht von unter 3,5 Tonnen. Für ein Vier–Personen-Fahrzeug immer auch eine Gratwanderung, voll beladen gibt es keine Reserven mehr. So wurde das Fahrwerk hinten auch mit etwas härteren Federn und neuen Stoßdämpfern an das neue Gesamtgewicht angepasst sowie ein Torsen-Differential in der Hinter-achse nachgerüstet. Statt nun -manuell eine Differentialsperre einlegen zu müssen, regelt das Torsen-Element fortan automatisch den Kraftfluss an die Hinterräder.
Heller Wohnraum und ein Skikeller – das ist ,,Paulchen“
Keine Frage, mit „Paulchen“ hat sich das Ehepaar Grosmann einen durchdachten Reisepartner geschaffen, der vielleicht bei den Ausmaßen Kompromisse erforderte, aber in allen anderen Punkten ein kompromisslos gutes Langfahrtmobil für alle Jahreszeiten ist.
Die Bauphase